Friede in der einen Welt: eine globale Herausforderung
Konferenz mit Andrea Riccardi, Samstag 15. Mai 2010 - Auszüge
Eine Welt ohne Frieden und voller Verzweiflung
Der Friede ist heute in Gefahr. Wir sind alle sehr besorgt. Zahlreiche Kriege sind im Gange. Man denke nur an den unendlichen Krieg, der im Heiligen Land seit über einem halben Jahrhundert andauert. Derzeit herrschen 23 offene Konflikte, von Kolumbien bis zum Irak, von Pakistan bis Kivu im Kongo. Es gibt vergessene und kaum beachtete Kriege, weil sie in Regionen stattfinden, die für die aktuelle Geopolitik strategisch unwichtig sind. Dies sind vor allem die Kriege in Afrika, die Länder untereinander spalten und ganze Bevölkerungsgruppen zu Geiseln machen. Zudem schwebt über dieser schon durch viele Konflikte gezeichneten Welt die Gefahr des Terrorismus mit seiner blinden Gewalt, die dramatisch zuschlagen kann, wie wir es am 11. September 2001 erlebten. Atomwaffen sind zunehmend verbreitet, viel mehr als in Zeiten des Kalten Krieges. In vielen Teilen der Welt finden sich kaum mehr Guerillagruppen ideologischer oder politischer Prägung, sondern es herrscht eine weit verbreitete kriminelle Gewalt, die zu einem Massenphänomen und zu einer Lebensart wird.
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Man hat es ohne Aufregung hingenommen, dass ganze Regionen in Armut versinken. In diesen Ländern der Verzweiflung kann man nicht einmal von einer besseren Zukunft träumen. Ich denke an Somalia und andere Regionen Afrikas, eines Kontinents am Rande des Globalisierungsprozesses der Wirtschaft. In den Ländern der Verzweiflung zerfällt oft der Staat. Wenn es keinen Staat gibt, fehlt ein Mindestmaß an Ordnung und Sicherheit. Das Fehlen eines Staates bedeutet eine zusätzliche Armut für die Armen, die außerhalb jeglicher Ordnung leben. Das erleben wir in einigen afrikanischen Ländern. In diesen Ländern ist die Resignation mit einer tiefen Wut verbunden, einem Nährboden für neue Gewalt. Zudem finden sich Gegenden in der Welt, in denen ein ganzer Teil der Bevölkerung, darunter auch viele Kinder und Jugendliche, von der Gewalt lebt. Die Geschichten der Kindersoldaten sind hierfür ein Beispiel.
Für viele Menschen in vielen Teilen der Welt und besonders für viele Jugendliche ist der Horizont der Zukunft von Verzweiflung geprägt. Man denke an das Drama von AIDS, das viele Zukunftshoffnungen zunichte macht und mitten im Leben die Menschen dahinrafft. Heute kann man jedoch mit AIDS leben, wenn man angemessen behandelt wird. Das weiß inzwischen jeder, doch die meisten Kranken in den ärmeren Ländern haben keinen Zugang zur Behandlung. Die Kranken wissen, dass es eine Behandlung gibt, aber für die Mehrheit der afrikanischen Kranken gibt es diese Möglichkeit nicht. Deshalb spreche ich von Ländern der Verzweiflung, in denen die meisten Menschen resignieren, einige aber werden vielleicht rebellieren.
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Die Kultur der Angst
Ohnmacht und Pessimismus entsprechen einer konkreten Erfahrung: der Erfahrung der Einschüchterung, nicht durch eine Person, sondern durch die Art zu denken, durch die Botschaften der Medien, durch die Strukturierung des Lebens. Es ist wahr: Es ist schwer, etwas zu tun und zu verändern. In der reichen Welt wie in der armen...
In der Bibel findet sich in ganz unterschiedlichen Kontexten vielfach die Aufforderung, sich nicht zu fürchten, beginnend mit dem Buch Genesis bis hin zu den Evangelien und allen christlichen Schriften. Die Ängste der Männer und Frauen, der Gesprächspartner Gottes, sind in den Büchern der Bibel unterschiedlich, doch es ist sehr häufig von ihnen die Rede! Wer Gott begegnet und ihn hört, hat oft Angst: Manchmal fürchtet er sich sogar vor dem Herrn, andere Male ist er besorgt wegen seiner Schwäche, er hat Angst vor der ihm anvertrauten Mission, er sieht keine Hoffnung für die Zukunft, oft spürt er, dass er sich oder die anderen nicht ändern kann, in manchen Fällen möchte er fliehen... Auch Maria hat Angst, als ihr ihre Berufung vor Augen gestellt wird: "Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden" (Lk 1,30) - sagte der Engel Gabriel zur Jungfrau von Nazaret, die über die große Verkündigung erschrak, die sie empfing. Gott spricht von Generation zu Generation zu dieser erschrockenen Menschheit. Unsere Generation ist da keine Ausnahme. Je mehr man die Angst versteckt, umso größer wird sie und beherrscht den Menschen innerlich...
Glaube und Angst
Warum habt ihr solche Angst? Diese Frage Jesu findet ihre Antwort in seiner zweiten Frage: Habt ihr noch keinen Glauben? Der Pessimismus, das Gefühl der Bedeutungslosigkeit und der Ohnmacht und letztlich die Angst sind Haltungen, die uns charakterisieren angesichts des Lebens, das schnell und rücksichtslos vorbeigeht. Die Mittel, die wir in Händen halten, scheinen uns häufig wenig geeignet. Doch es wäre ein Irrtum, zuallererst die Mittel zu betonen...
Das Gebet, Wurzel des Glaubens
...Die Gemeinschaft Sant'Egidio versucht, durch das tägliche Abendgebet gläubig von neuem mit dem Wort Gottes aufzubrechen. All unsere Gemeinschaften auf der ganzen Welt bitten wir, gleichsam in einer ersten Geste zum Gebet zusammen zu kommen. Wir haben festgestellt, wie sehr das Abendgebet oder eine gut gestaltete Liturgie gleichsam aus sich heraus anziehend sind für die Menschen, die oft orientierungslos, aber auch auf der Suche nach etwas sind...
Das Geschenk des Friedens
...Der Widerstand gegen Gewalt, Krieg und Hass ist tief in der christlichen Identität verwurzelt: in der Nachfolge des friedfertigen, gütigen und von Herzen demütigen Herrn. Deshalb sind die Jünger Arbeiter für den Frieden und geben ihn weiter. Ausgehend von ihnen strahlt der Friede in die Fugen unseres Menschseins aus. Der Friede überwindet unsere persönlichen Widerstände und unsere Lauheit... Die Bewahrung des Friedens bedeutet auch eine andere Beziehung zur Schöpfung. Benedikt XVI. sagte dies am 1. Januar dieses Jahres in seiner Botschaft zum Weltfriedenstag: "Nicht weniger besorgniserregend sind jedoch jene Gefahren, die vom nachlässigen - wenn nicht sogar missbräuchlichen - Umgang mit der Erde und den Gütern der Natur herrühren, die uns Gott geschenkt hat. Darum ist es für die Menschheit unerlässlich, "jenen Bund zwischen Mensch und Umwelt zu erneuern und zu stärken, der ein Spiegel der Schöpferliebe Gottes sein soll - des Gottes, in dem wir unseren Ursprung haben und zu dem wir unterwegs sind".
Die Bewahrung des Friedens
Die christlichen Gemeinden und Gemeinschaften sind Zusammenschlüsse von friedlichen Menschen. Das ist der entscheidende Punkt: Ich glaube, dass in der vor uns liegenden Zeit das Zeugnis von friedlichen Christen sehr wichtig sein wird. Wir werden größere Dinge tun müssen! Wir sind gerufen, friedlich zu sein und als Friedensstifter zu leben...
Eine Mission in einer friedlosen Welt
... Der Friede ist nicht den Politikern vorbehalten. Der Friede ist etwa zu Ernstes, um nur den Politikern oder Diplomaten vorbehalten zu sein. Der Friede gehört uns: Er betrifft uns und er ist unsere Mission... Der Ehrgeiz einer christlichen Gemeinschaft - ein christlicher Ehrgeiz - muss es sein, dem Frieden an jedem Ort der Welt zu dienen, und sei es der kleinste und vergessenste, sei es auch nur ein Mann oder eine Frau, deren Leben nicht viel zählen.