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Rede von Marco Impagliazzo zur Buchvorstellung WEGE ZUM FRIEDEN. Die internationale Friedensarbeit der Gemeinschaft Sant'Egidio


 
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Rede von Marco Impagliazzo zur Buchvorstellung
WEGE ZUM FRIEDEN. Die internationale Friedensarbeit der Gemeinschaft Sant'Egidio
Rom, Camera dei Deputati, 12. Mai 2010

Der Künstler des Journalismus Igor Man hat mit dem schönen Begriff der "UNO von Trastevere" versucht den Friedenseinsatz von Sant'Egidio zu definieren. Dieser Ausdruck weist auf ein Gemisch von Diplomatie und römischer Bodenständigkeit hin und gefiel uns sofort. Deshalb haben wir ihn auf dem Einwand dieses Buches Wege zum Frieden zitiert. Wie Igor Man haben sich viele gefragt, wie man Sant'Egidio definieren kann.
 
Andrea Riccardi sagt dazu in der Einleitung: "Die Gemeinschaft Sant'Egidio ist ein ganz besonderes internationales Subjekt. Sie ist weder eine internationale Organisation noch eine auf Vermittlung spezialisierte Nichtregierungsorganisation und arbeitet nicht im Auftrag einer Regierung. Sie ist eine christliche Gemeinschaft, die 1968 in Rom gegründet wurde und für ihre Arbeit mit den Armen und ihre Anwesenheit in Situationen großer Armut auf der Welt bekannt ist. Mit den Jahren ist sie zu einem geschwisterlichen Miteinander, oder - wenn man so will - einer Art Internationale von Gemeinschaften geworden, die sich in verschiedenen Ländern der Welt befinden, vor allem in Europa, in Amerika, Asien und besonders in Afrika. Es bleibt zu fragen, wie eine christliche Gemeinschaft zwischen dem Ende des zwanzigsten und dem Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts Friedensarbeit an verschiedenen Enden der Welt leisten konnte. Man meine nicht, die Gemeinschaft sei eine einflussreiche Organisation mit vielen Angestellten und Finanzmitteln. Es gibt ein grundlegendes Mittel: das mit Treue und einer Vielfalt von Kontakten gelebte Interesse für den Horizont der Welt, oft für vergessene Länder".
 
Wenn jemand vor allem die besondere Leidenschaft von Sant'Egidio für die weite Welt verstehen möchte, ist diese Definition nützlich. Diese Leidenschaft wird von einer Spiritualität des Evangeliums genährt, die den Krieg als ein Übel ansieht: Wir sagen in Sant'Egidio, dass der Krieg der Vater aller Armut ist. Die Lehre der Päpste seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts bis heute ist von der Friedensfrage geprägt. Benedikt XV. sprach während des Ersten Weltkrieges vom "sinnlosen Blutbad", und Johannes Paul II., sein späterer Nachfolger, hat den Krieg als "Abenteuer ohne Rückkehr" bezeichnet. Diese Lehre hat uns in den Jahren angeleitet. Die Überzeugung vom Krieg als Abenteuer ohne Rückkehr reifte durch die Erfahrungen aus vielen leidvollen Kriegssituationen. Wir haben die Wirklichkeit der Kriege und Konflikte mit ihrer ganzen Dramatik aus der Nähe kennen gelernt, die meine Generation nie erlebt und erfahren hat.
 
In diesen Jahren wollten wir eine realistische und beharrliche Hoffnung nähren: Frieden ist möglich. Man muss die Wege finden, um ihn mit Geduld zu verwirklichen, indem man die Risse zusammenfügt, ein Garantiegerüst für die Zukunft errichtet und darauf hinweist, dass nichts schlimmer ist als der Krieg, indem man den Willen der Völker in die Tat umsetzt, die als "Geißel" von Krieg, von einer Kultur oder Propaganda des Krieges wie im Fall der Elfenbeinküste oder anderer Länder leben. Die Gemeinschaft Sant'Egidio hat auch Dialoginitiativen zwischen den Religionen und zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen ins Leben gerufen. Vor allem nach dem von Johannes Paul II. einberufenen großen Friedensgebet von Assisi 1986 hat die Gemeinschaft in verschiedenen Ländern der Welt jährlich Treffen von Religionsoberhäuptern im Bewusstsein organisiert, dass die Religionen wichtige Stützen für den Frieden sein aber auch zur Heiligung des Krieges beitragen können.
Der Dialog ist daher ein Bestandteil der Chromosomen der Gemeinschaft. In den 90er Jahren und insbesondere nach dem 11. September erschien diese Suche nach Dialog als Naivität in einer Welt, die zum Kampf der Kulturen und Religionen bestimmt zu sein schien. Sowohl der Kampf der Kulturen als auch der Waffen wurde als leidvolle Notwendigkeit verstanden. Wir haben nicht an diesen Grundsatz geglaubt, der als Notwendigkeit hingestellt wurde. Dabei handelt es sich nicht um prinzipiellen Pazifismus, sondern um einen bei friedensstiftenden Erfahrungen in unterschiedlichen, in diesem Buch beschriebenen Konflikten gereiften Realismus.
 
Denn die Gemeinschaft will nicht nur ein "Zeugnis" für den - sogenannten moralischen oder religiösen - Begriff des Friedens geben, sondern sie handelt und unternimmt konkrete Schritte, um in Konfliktsituationen Frieden zu suchen. Mehr als von Pazifisten muss von Friedensstiftern gesprochen werden.
 
Uns bereitet Sorgen, dass der Konflikt - auch innerhalb der Gesellschaft, nicht nur zwischen verschiedenen Staaten - bei den Leuten wieder "populär" geworden ist. Auf der Ebene einiger Staaten hat man überall die Überzeugung vertreten, dass es bestimmte geschichtliche Umstände gibt, in denen Krieg unvermeidbar ist. Diese Beweise benötigen immer Lügen und Fälschungen, um Auswirkungen zu zeigen. Manchmal hat man einen gemeinsamen Feind gefunden, wie im Fall des Islam für den Westen. Was die europäischen Gesellschaften betrifft, scheinen die Lehren aus den Tragödien des 20. Jahrhunderts noch nicht auszureichen, immer noch sucht man Feinde und Sündenböcke: seien es Immigranten, Zigeuner, Juden oder andere Minderheiten.
 
Die Verachtung des anderen, der verschieden ist, scheint eine Chiffre unserer Zeit zu sein. Viele Kriege dieser Jahre wurden als unvermeidbare Produkte objektiver Fakten unabhängig vom Willen der Völker erklärt. Heuchlerisch gibt kein Führer zu, sich für Krieg zu entscheiden. Stattdessen wird behauptet, der Krieg "habe ihn ausgewählt", man sei nur gezwungen auf den "Anruf der Geschichte" zu antworten. Diese Doktrin ist ansteckend geworden. Es sind die Kriege der Identitäten, der Ethnien, des Kakaos, des Erdöls, der Diamanten, des Coltan, etc. was ist schon realer und "unausweichlicher" als solche Wirklichkeiten, die der Mensch nicht kontrolliert? Mit anderen Worten: wenn manche Umstände gegeben sind, wird es sicher zum Krieg kommen. So verbreitet sich die Kultur der Gegensätze, die mit Viktimismus versüßt wird und den wahren gemeinsamen Charakterzug der globalen Kultur darstellt. Die Verachtung beginnt damit, Gewalt und dann den Krieg zu rechtfertigen.
 
Krieg und Verachtung werden nämlich zu einer Kultur und entstellen die Seele ganzer Völker. Andrea Riccardi behauptet, dass es eine spirituelle Architektur der Völker gibt, die krank werden kann. Was den Frieden betrifft, war Sant'Egidio in diesen Jahren standhaft, hat sich nicht hysterischen Überlegungen gebeugt und sowohl auf internationaler als auch auf gesellschaftlicher Ebene aus ihm eine "Berufung" gemacht. Die Freundschaft zu den Armen, der Aufbau des sozialen Umfeldes in vielen Stadtvierteln europäischer Großstädte, die Begegnung unter den verschiedenen Generationen, die Nähe zu den abgelehnten alten Menschen, der Dialog unter Religionen und Kulturen, die Friedensarbeit: Sant'Egidio hat nicht aufgehört, den Dialog zu suchen, die Notwendigkeit des "Zusammenlebens" und das Knüpfen von engmaschigen Fäden hervorzuheben, damit sich Feinde und Fremde ins Gesicht schauen und letztlich wieder als Geschwister erkennen. Scherzhaft würde ich sagen, dass wir uns auf vollkommene und globale Weise auf die Suche nach dem Frieden gemacht haben: von den Straßen bis zu den Parlamenten. Daher danke ich Herrn Präsidenten Fini, dass er uns an diesen bedeutenden Ort der Demokratie eingeladen hat, um über Frieden zu sprechen.
 
Es gibt eine Methode - doch es gibt nicht nur eine, denn die Situationen sind vielfältig - sie stammt von einem alten Kirchendiplomanten, Angelo Giuseppe Roncalli, der als Johannes XXIII. Papst wurde und sagte: "Man muss suchen, was vereint, und beiseite lassen, was trennt". Was in allen Fällen vereint, ist die Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Völkerfamilie, doch häufig auch unwesentliche Aspekte der Biographie der Kämpfenden. Das Verbindende wird zur Überzeugung - und das ist ein Erfolg - dass es durch die Vernichtung des anderen keine Zukunft gibt. Man muss also anerkennen, dass alle beteiligten Seiten einen Platz in der Zukunft des eigenen Landes haben.
 
Der Friede besteht nicht nur aus einer Sache, nicht nur aus Verhandlungen, sondern auch aus Zusammenleben (Präventivfrieden), Aufbau einer mitleidsvollen Gesellschaft, Einsatz für die Rechte (Todesstrafe und Gefängnisse) etc. Deswegen muss sie mit dem Einsatz der Gemeinschaft in vielen Bereichen verbunden sein. Das DREAM-Programm zur AIDS-Behandlung für heute 90.000 Personen in Afrika und der Kampf gegen die Todesstrafe sind zwei Artikel im Band zu diesem Thema.
 
Dann gibt es die Frage der verbreiteten Gewalt, die zu einem neuen Bürgerkrieg wird; auch die Arbeit gegen die Maras ist Friedensarbeit. Vor allen Dingen die Kinder: wie wichtig sind die Schulen des Friedens, Orte des Friedens und der Kultur, die von unseren Gemeinschaften weltweit unterhalten werden, und nicht die Straße, die eine Schule der Gewalt ist. Die vorherrschende Kultur zeigt keine Sympathie für die Friedensarbeit und sieht darin einen "Verzicht" auf die eigene Stärke, Identität oder die eigenen Beweggründe. Häufig wird behauptet, der Dialog sei ein Hinweis für "Selbsthass". Viele halten Friedensarbeit für Naivität.
 
In den vergangenen Jahren war die Vermittlungsarbeit unter Kriegspartien mühsam. Die Geschichte des Friedens in Mosambik beweist, dass die Christen eine Friedenskraft besitzen, die zu einer Vision wird: Frieden ist immer möglich, man kann immer Wege finden, die über die Menschen gehen - auch wenn sie noch so verhärtet sind -, und mit Geduld pathologische Erinnerungen, Groll, Ideologien und Verachtung heilen. Das ist die schwache Kraft. Sie bringt eine "Politik des Mitleids" hervor und sucht die konkreten Wege, um Frieden zu verwirklichen, wo er bedroht oder nicht vorhanden ist, indem auch Bündnisse geknüpft werden.
 
Im Rahmen dieser wichtigen Friedensarbeit möchte ich auch die Namen zweier unserer Freunde aus Afrika und Lateinamerika erwähnen, die ihr Leben im Namen des Friedens verloren haben: Floribert war ein junger Zollbeamter aus dem Kongo, der sich nicht Erpressungsversuchen gebeugt hat und ermordet wurde, weil er verdorbene Mehl- und Zuckerladungen nicht in sein Land einführen lassen wollte. Er glaubte an die Ehrenhaftigkeit in einem korrupten Umfeld. William, ein Jugendlicher aus El Salvador, ein Freund der armen Kinder in einem Stadtrandviertel der Hauptstadt, war Leiter einer Schule des Friedens und wurde von der Maras ermordet, weil sein Leben ein konkretes Zeugnis für eine Alternative zur Jugendgewalt darstellte.
 
Auch das, liebe Freunde, ist Sant'Egidio. Ja, alle können für den Frieden arbeiten, für das Zusammenleben, das ist unsere tiefste Überzeugung. An diesem herausragenden Ort der italienischen Demokratie möchte ich sagen, dass der Name Italiens in der Welt auch aufgrund dieser demütigen und ausdauernden Arbeit beliebt und geachtet ist.


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