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Homilie von Erzbischof Antonio Maria Vegliò bei der Gebetswache zum Weltflüchtlingstag


 
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HOMILIE VON ERZBISCHOF ANTONIO MARIA VEGLIÒ
PRÄSIDENT DES PÄPSTLICHEN RATES FÜR SEELSORGE
FÜR MIGRANTEN UND MENSCHEN UNTERWEGS
BEI DER GEBETSWACHE ZUM WELTFLÜCHTLINGSTAG
SANTA MARIA IN TRASTEVERE
DONNERSTAG, 17. JUNI 2010

Liebe Freunde,
die Feier heute Abend hat einen besonders traurigen Tonfall. Im feierlichen Rahmen der Basilika Santa Maria in Trastevere möchte die Gemeinschaft Sant'Egidio mit anderen Vereinigungen diese Gebetswache zum jährlichen von den Vereinten Nationen organisierten Weltflüchtlingstag halten. Viele haben diesen Aufruf angenommen, hierher zu kommen und an die Namen, Gesichter und Geschichten von Männern und Frauen, Kindern und alten Menschen zu erinnern, die ihr Leben auf der Reise der Hoffnung und bei der Flucht aus ihren durch schlimme Situationen geplagten und manchmal wie in Asien und Afrika unmenschlichen Ländern verloren haben, um andere Länder zu erreichen, von denen sie als Regionen von Freiheit, Sicherheit und menschenwürdigem Leben, wie in Europa und Amerika, träumten.

Heute Abend sind wir viele, Frauen und Männer aus verschiedenen Ländern, mit unterschiedlichen Religionen und Kulturen, um die vielen Tausend Brüder und Schwestern nicht zu vergessen, die auf dem langen und leidvollen Weg auf der Flucht vor Elend, Unterdrückung, Gewalt oder Krieg dem Tod fanden. Wir möchten ihnen virtuell ein Begräbnis bereiten und für sie einen liebevollen Platz in unserem Herzen und im Herzen dieser Stadt geben.

Wir alle wissen, dass die Migrationsbewegungen besonders in den vergangenen Jahren zu echten humanitären Krisen geworden sind. Vor allen Dingen da dieses Phänomen die Charakteristik eines biblischen Exodus trägt und immer häufiger von der skrupellosen Gier des organisierten Verbrechens erfasst wird und aus Tausenden unmenschlicher und leider sogar tragischer Abenteuer besteht. Wir dürfen auch nicht über die offensichtliche Wiedergeburt des Sklavenhandels schweigen, der heute ca. eine Million Menschen im Jahr betrifft, die auf dem Markt der Prostitution, der Zwangsarbeit, des Organhandels und der Sexualität mit Minderjährigen verkauft werden.

Unsere abendliche Wache ruft uns heute die Geschichten von Menschen ins Gedächtnis, die sich angetrieben von der Hoffnung auf eine Ankunft in einem gastfreundlichen Land auf den Weg gemacht haben, jedoch auf ihrer leidvollen und schmerzhaften Reise den Tod fanden.

Wir denken an die Überquerung des Binnenlandes und die Fahrten von den nordafrikanischen Küsten zu den Ländern der Europäischen Union auf dem Meer, aber auch an die Wege in und zwischen afrikanischen und asiatischen Ländern, wir denken an die Wege durch die lateinamerikanischen und mittelamerikanischen Länder in die Länder Nordamerikas. Überall auf der Welt gibt es heute Menschen, die die Unannehmlichkeiten der Entfremdung und das Abenteuer des Lebens in neuen "Ländern der Verheißung" auf sich nehmen. Vor unseren Augen sehen wir Menschen, die aus schwierigen individuellen und familiären Situationen auf der Suche nach Überlebensstrategien auf der Flucht sind, wegen der sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen der Heimat- und Herkunftsländer und weil sie durch langsame und ungerechte Entwicklungen nicht selten Opfer verfehlter nationaler und internationaler Politik wurden.

Oft ist der Grund oder die Ursache für die Migration die Armut, ebenso kann Armut durch Migrationsprozesse erleichtert oder vergrößert werden. Sehr häufig führt die Flucht ins Ausland zum Mangel wichtiger menschlicher Arbeitskräfte, wenn man bedenkt, dass in einigen Ländern bis zu 60% der Besucher höherer Schulen auswandert und eine Gesellschaft ohne ihre besten Frauen und Männer zurücklässt.

Brüder und Schwestern, das Evangelium, das wir gelesen haben, führt uns ein in das Geheimnis der universalen Geschwisterlichkeit, die auf die göttliche Vaterschaft und auf die Adoption der Kinder gegründet ist, an der wir durch Jesus Christus Anteil erlangen. Wir haben gehört und sagen es gleich gemeinsam, dass Gott "unser Vater" ist, also die einzige Quelle des Lebens für alle Menschen, die im Blut Christi die Berufung erhalten, eine einzige Familie der Völker und Nationen zu bilden. Gott offenbart sich in der Liebenswürdigkeit eines Vaters. Gott möchte mit uns in der Vertrautheit einer einzigen Familie leben, auch wenn sie in Situationen von Spannungen und Leid lebt, die sich jedoch bemüht, solidarisch zu sein, und die Mühe der Gastfreundschaft und gegenseitigen Aufnahme auf sich nimmt.

Traurig müssen wir leider sagen, dass auch in den Gesellschaften des dritten Jahrtausends noch ungeheure Ungleichheiten existieren. Millionen Menschen in den Entwicklungsländern leben noch heute die Geschichte des Evangeliums vom armen Lazarus, sie möchten ihren Hunger mit dem stillen, was vom überfüllten Tisch der Herren der Welt herunterfällt. Nicht selten begehen sie das "Verbrechen der Illegalität", wenn sie es schaffen, ohne Einladung in das Haus des Reichen einzutreten. Hier geht es um die illegale Einwanderung, die viele Opfer gefordert hat und weiter fordert, wie die in provisorischen Booten auf dem Meer Ertrunkenen oder in den Wüsten ohne ausreichende Vorsoge Umgekommenen, oder wie jene, die überfahren wurden und so ums Leben kamen, als sie im Versteck über die Grenzen gelangen wollten.

Dann lege ich den Finger in die Wunde und spreche etwas viel Heikleres an, wenn diese Immigration zum Handel und fast zur sklavischen Ausbeugung von "Menschenfleisch" wird.

Die Kirche verurteilt solche Missetaten und fordert eine geregelte Steuerung der Migrationsflüsse, sie nimmt zudem mit großem Realismus zur Kenntnis, dass die Industrieländer, die nicht immer in der Lage sind, die ganze Zahl der Emigranten aufzunehmen, Maßnahmen ergreifen müssen, um die Sicherheit und Legalität sowohl der Einheimischen als auch der Neuankömmlinge zu garantieren. Gleichzeitig ruft die Kirche alle auf, die eigene Verantwortung wahrzunehmen und Lösungen zu finden, die nicht nur in härteren Sanktionen gegen Illegale und einem hermetischen Abriegeln der Grenzen bestehen. Zu den Lösungen gehören Maßnahmen, die über bloße Erklärungen zur den Entwicklungen in den Herkunftsländern hinausgehen und einen erbarmungslosen Kampf gegen Menschenhändler, eine vernünftige Planung legaler Einwanderungsflüsse und eine größere Bereitschaft beinhalten, Einzellfälle zu berücksichtigen, die mehr menschlichen Schutz als politisches Asyl benötigen. Schließlich muss das Recht auf Familienzusammenführung gewahrt werden, das den Zusammenhalt und die Stabilität des Einzelnen und der Gesellschaft garantiert.

Das hat der Heilige Vater, Benedikt XVI. bei der Audienz für die Teilnehmer der Vollversammlung des Päpstlichen Rates für die Seelsorge für Migranten und Menschen unterwegs gefordert und gesagt, dass "durch besonnene und abgestimmte Maßgaben zur Aufnahme und Integration Perspektiven für das Zusammenleben der Völker aufgezeigt werden können und Gelegenheiten zur legalen Einreise ermöglicht werden, indem das gerechte Recht der Familienzusammenführung, des Asyls und der Zufluchtsmöglichkeit gewährt wird, die notwendigen restriktiven Maßnahmen angepasst und der beklagenswerte Menschenhandel bekämpft wird".

Liebe Schwestern und Brüder,
in unsrem Alltagsleben gibt es etwas Ewiges, das geschaffen wird und sich offenbart, und das Gebet heute abend feiert diesen in unserem täglichen Handeln enthaltenen Wert. Wir müssen aus unserer betenden Familie eine Heilige Familie machen, in der man zwar nicht alles verstehen muss, die sich jedoch mit allen Mitteln bemüht, Konflikte und Missverständnisse zu überwinden, und in der der Glaube immer gelebt wird und man sich trotz Enttäuschungen, Nachlässigkeiten und Fehlerhaftigkeit immer liebt.

Natürlich ist das nicht einfach zu verwirklichen, besonders in der Familie der Emigranten, die vielen Gefahren und Schwierigkeiten ausgesetzt ist, nämlich dem Problem der immer schwierigeren Integration in die neue Gesellschaft, dem durch unterschiedliche kulturelle Einflüsse auf die Kinder in der neuem Umgebung immer schwierigeren und konfliktreicheren Zusammenleben verschiedener Generationen, dem Problem der Weitergabe von Werten der Familie in der Erziehung und der Frage der Eingliederung der Kinder in das Schulsystem.

Deshalb muss eine echte Zuwanderungspolitik genaue Vorgaben ausarbeiten, die Stabilität ermöglichen und allen den Schutz der eigenen Rechte garantiert. Die Kirche beansprucht keine besonderen Kompetenzen bei der Ausarbeitung solcher Projekte. Mit geeigneten Vorschlägen möchte sie jedoch mitreden, damit sich die Richtlinien an den Grundrechten der menschlichen Person und an der großen Tradition unserer christlichen Kultur orientieren. Es ist dann Aufgabe der christlichen Laien, der Gruppen, Vereinigungen und kirchlichen Organisationen solche Richtlinien auf der Grundlage ihrer spezifischen Kompetenz und Erfahrung konkreter auszugestalten und demzufolge genaue Handlungsanweisungen vorzuschlagen.

Auf jeden Fall muss neben den Vorschriften und Plänen die Mentalität und das Bewusstsein durch geduldige und konstante Bildungsmaßnahmen geprägt werden. In positiver Hinsicht muss die Erziehung von Wertvorstellungen, Gefühlen und Verhaltensformen erfüllt sein, die der Gastfreundschaft, dem Verständnis, der Solidarität, dem Zusammenleben und -wirken dienen.
In negativer Hinsicht müssen die vielen Impulse und Haltungen kontrolliert und beseitigt werden, die die verschiedenen Färbungen von Misstrauen, Vorurteilen, Intoleranz und Ablehnung annehmen bis zu den ausufernden Formen von Xenophobie und Rassismus.

Heute wird viel über die Notwendigkeit eines Dialogs unter den Kulturen gesprochen. Wir sind heute Abend hier versammelt als Träger und Vorkämpfer einer gewissermaßen neuen Art des Dialogs. Es ist ein Dialog des Lebens, also ein Dialog von Menschen verschiedener Kultur und Religion, der sich im Alltag auf den Haustreppen durch einen herzlichen Gruß, an der Arbeitsstelle durch solidarisches Handeln und Anteilnahme an den Problemen der anderen und auf den Bänken dieser Kirche durch Gefühle von Barmherzigkeit und Vergebung auswirkt. Dieser Dialog beweist vor allem die Fähigkeit zum Zusammenleben mit den anderen, zum Hören auf sie, zum Verständnis für sie und zur Akzeptanz ihrer Mentalität und er berührt dadurch die Tiefe des menschlichen Lebens, sowie die Ängste und Sorgen der Menschen.

Wenn wir diesen Vorschlägen folgen, bin ich sicher, dass wir der heutigen Gesellschaft einen wirklichen Weg zum Frieden aufzeigen können und die Überheblichkeit derer überwinden, die lieber Gewalt anwenden statt Liebe, Verständnis und Solidarität. Nehmen wir deshalb den Aufruf auf, uns immer mehr der großen Macht des Zeugnisses bewusst zu werden. Wenn andere entdecken, dass wir einen Schatz gefunden haben, indem sie sehen, dass wir Männern und Frauen mit dramatischen Emigrationsgeschichten, die teilweise sogar ihr Leben verloren haben, mit Aufmerksamkeit begegnen, wenn sie unsere große Hoffnung im Einsatz für die Gerechtigkeit und den Schutz der Menschenwürde von Migranten erkennen, wenn sie unseren Einsatz für die Sensibilisierung der Ortskirchen und der Gesellschaft wahrnehmen, damit sie gastfreundlich sind und offene Gemeinschaft anbieten, dann werden auch sie wie wir von Hoffnung und Energien erfüllt, damit diese Gemeinschaft Wirklichkeit wird.

Die Mutter Gottes, die Königin des Friedens, möge uns beschützen und uns bei dieser so schwierigen, doch auch so aktuellen und faszinierenden Aufgabe helfen, damit wir in der heutigen Welt das Zeugnis der Gegenwart des auferstandenen Christus geben, dem Fürsten des Friedens.

Gelobt sei Jesus Christus. 


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