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Dankgottesdienst zum 50. Jahrestag der Gemeinschaft Sant’Egidio

10. Februar um 17.30 Uhr in der Lateranbasilika des Hl. Johannes

Die ersten Personen sind 2018 durch die humanitären Korridore in Italien angekommen. Die neue Phase des Projektes, das zum Modell der Gastfreundschaft und Integration für Europa geworden ist


 
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30 September 2013 16:30 | Chiesa di San Calisto

Gott liebt die Armen



Daniel Deckers


Frankfurter Allgemeine Zeitung, Deutschland

Es gibt einige Worte, die mich seit nunmehr zwanzig Jahren beruflich Tag für Tag begleiten. Eines davon heißt „Friedensgespräche.“ Es ist ein Wort, das Hoffnungen weckt, Hoffnungen auf ein Ende der ewiggleichen Bilder von Blutvergießen, von Zerstörung, Elend und Vertreibung. Aber nur selten ist diese Hoffnung wahr geworden. Mehr noch. Wenn nicht alles täuscht, hat die Zahl der zwischen- und binnenstaatlichen Konflikte in den vergangenen zwanzig Jahren noch zugenommen. 

Dass ich meine Rede über das Thema „Über die Welt berichten – Information und Frieden“ in den Zeitrahmen von genau zwanzig Jahren spanne, bedarf einer kurzen Erklärung. Der Grund ist ein schamlos persönlicher. Morgen vor genau zwanzig Jahren, am 1. Oktober 1993, bin ich als Nachrichtenredakteur in die Politische Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eingetreten. Damals war ich 33 Jahre alt, blond und hatte zwei Kinder. Heute bin ich 53 Jahre, habe graue Haare, und drei meiner inzwischen sechs Kinder sind erwachsen geworden und haben ihr Elternhaus schon verlassen. Die Welt aber ist in diesen zwanzig Jahren nicht erwachsener geworden.

Damals, im Herbst 1993, waren die Spalten aller Zeitungen voll mit Berichten über Friedensgespräche. In der norwegischen Hauptstadt Oslo ging es unter Vermittlung der Vereinigten Staaten um einen Frieden zwischen Israelis und Palästinensern. In Genf richteten sich die Blicke auf die Bemühungen von Unterhändlern, die nach dem endgültigen Zerfall Jugoslawiens einem neuerlichen Krieg auf dem Balkan zuvorkommen wollten – Stichwort Bosnien.

Was aus dem Friedensprozess von Oslo und dem 1995 geschlossenen Dayton-Abkommen geworden ist, brauche ich Ihnen nicht zu erklären. Yassir Arafat ist längst gestorben, Jizchak Rabin wurde ermordet. In und um Israel gibt es nicht zwei, sondern drei Staaten – Israel einschließlich der besetzten Gebiete, der von der Hamas kontrollierte Gaza-Streifen, und das von der Fatah beherrschten Westjordanland – besser gesagt, den dasjenige Westjordanland, das die Israelis den Palästinensern überlassen haben. Und was Bosnien-Hercegovina angeht, so wissen wir alle, die wir uns im vergangenen Jahr beim Friedenstreffen der Gemeinschaft Sant`Egidio in Sarajevo gesehen haben, dass der Bosnien-Krieg von 1993 aus betrachtet erst noch kommen sollte. Heute ist das „Jerusalem des Balkans“ Geschichte, ein wirklicher Frieden zwischen den über ihre Religionszugehörigkeit definierten Volksgruppen ist nicht in Sicht. Doch das ist längst nicht alles, was es über den Frieden seither zu sagen gäbe.

Lässt man den Lauf der Geschichte seit dem 1. Oktober 1993 im Zeitraffer Revue passieren, dann könnte man fast zynisch sagen, dass die Welt heute eine viel bessere wäre, wenn es bei dem Palästina-Konflikt und dem Bosnien-Krieg geblieben wäre.  Was wir damals nicht wussten, aber nach und nach alles aufschrieben, reicht von dem Genozid in Ruanda (ich erinnere mich noch gut, wie während eines Spätdienstes die Nachricht vom Abschuss des Präsidentenflugzeugs eintraf), über den Krieg in Afghanistan und die amerikanische Invasion im Irak sowie ein gutes dutzend Bürgerkriege in Afrika und dem Schicksal mehrerer Millionen desplazados in Kolumbien bis zu dem sogenannten arabischen Frühling.

Diesem Frühling ist bis jetzt kein arabischer Sommer gefolgt. Statt dessen scheint sich das „konfessionelle Zeitalter“, das Europa zwischen 1600 und 1800 in Atem hielt, im Zeitraffer in der arabischen Welt zu wiederholen – freilich mit dem Unterschied, dass über den Kampf um die balance of power der sunnitischen und schiitischen Regionalmächte die bis in die Antike zurückreichende christliche Kultur unwiederbringlich zerstört wird.

Ich möchte Ihnen von dieser Stelle aus kein Seminar in Zeitgeschichte halten. Doch wollte ich es nicht versäumen, vor Ihnen mein „tägliches Brot“ als einer der verantwortlichen politischen Redakteure einer weltweit beachteten Tageszeitung auszubreiten. Und ich möchte Ihnen eines versichern: Keine dieser „bad news“ mit dem darin enthaltenen millionenfachen „Tod vor der Zeit“ ist eine „good news“. Im Gegenteil. In meiner Profession wäre es schon eine „good news“, wenn man nach zwanzig Jahren diesem Beruf und dem täglichen Umgang mit „bad news“ nicht zum Zyniker geworden ist, nicht abgestumpft von den täglichen Nachrichten über Anschläge, Massaker und Kriegsdrohungen, nicht von vorneherein ohne Hoffnung, wenn es heißt „Friedensgespräche“.

Aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen sagen: Es ist nicht leicht, sich im Strom der Nachrichten die Fähigkeit zu bewahren, die Schicksale hinter den Buchstaben und Bildern zu sehen. Denn es geht mehr als nur um eine Fähigkeit. Das Sehen an sich ist eine Entscheidung, ein Willensakt. Schaue ich hin, oder schaue ich lieber weg? Manchmal beschleicht mich der Gedanke, dass der weltweite Auflagenschwund der Tageszeitungen nicht alleine mit dem Aufstieg der elektronischen Medien zu tun und dem der sogenannten sozialen Netzwerke. In meinen Augen war die Tageszeitung schon immer das social media schlechthin: Sie stellte Personen und Gesellschaften Informationen über ihre aus Personen und Gesellschaften bestehende Mitwelt zur Verfügung, an denen diese ihr Verhalten ausrichten konnten. Das Totenglöcklein, das heute vielerorts der gedruckten Tageszeitung geläutet wird, und der Rückzug eines beträchtlichen Teil der jüngeren Generationen in die neuen social media deute ich daher auch als einen Akt kollektiver Regression, als Ausdruck einer Verachtung dessen, was Öffentlichkeit heißt.

Doch woraus speist sich diese Verachtung? Als Summe vieler Millionen Einzelentscheidungen mag der Aufstieg der neuen social media eine gewisse Logik haben. Wo angesichts einer immer komplexeren und immer unübersichtlicheren Welt das Gefühl der Ohnmacht überhand nimmt, ist der Rückzug in das Private eine durchaus verständliche Reaktion. Doch auch in diesem Fall ist das Ganze größer als die Summe seiner Teile. Denn wo eine durch die Bürger finanzierte „Öffentlichkeit“ fehlt, da fehlt eine Instanz, deren Wächter- und Kontrollfunktion unentbehrlich ist.

Diese Funktion wird gemeinhin beschrieben im Blick auf die drei Staatsgewalten, die Legislative, die Exekutive und die Judikative. Oft heißt es, die Medien seien so etwas wie eine „vierte Gewalt“. Das mag so sein. Doch lassen Sie mich diese „vierte Gewalt“ auch in einer anderen, etwas ungewöhnlichen Perspektive versehen. Die Medien haben diese Funktion auch insoweit, als sie darauf zu achten haben, dass Konflikte nicht vergessen werden, dass Not und Elend der Menschheit nicht von der Agenda der saturierten Wohlstandsgesellschaften des Westens verschwinden.

War aber sind „die Medien“? Anonyme, nach Algorithmen funktionierende Suchmaschinen sind sie gerade nicht. Diese generieren keine Inhalte (Gott sei Dank), sondern verbreiten oder unterdrücken sie. Die Inhalte selbst werden noch immer von Menschen gemacht: von Korrespondenten und Redakteuren. Das ist der menschliche Faktor.

Daher ist es alles andere als gleichgültig, wer in Redaktionen welche Entscheidungen trifft und wer – wenn überhaupt noch – als Korrespondent entsandt wird. Dass alle ihr „Handwerk“ beherrschen, setze ich voraus. Aber es sind nicht alle mit dem begabt, was der junge König Salomo von seinem Herrn erbittet: ein „hörendes Herz“ (1 Kön 3). Das aber braucht es für den Dienst am Frieden mehr als vieles andere. Ein Herz, dass über der Explosion der Granaten und der ohrenbetäubenden Kriegspropaganda, die die Sinne verwirrt, die Stimme – biblisch gesprochen - der Schwachen, der Kinder, der Alten, der Witwen und der Waisen nicht überhört.

Es wäre freilich naiv, wenn man die Metapher vom „hörenden Herz“ überstrapazieren wollte. Sie allen kennen das dem englischen Schriftsteller Rudyard Kipling zugeschriebene Wort „Die Wahrheit ist das erste Opfer des Krieges“. Daher ist die erste Tugend, die dem Frieden dient, wenn man der Wahrheit nicht ausweicht, sondern sie mit allen verfügbaren Mitteln zu ergründen sucht. Wie schwer dieses oft ist, führt uns tagtäglich der Syrien-Krieg vor Augen. So stellt sich in meinem Beruf nicht nur tagtäglich die Frage, was „Wahrheit“ ist, sondern was von all dem, was es zu hören und zu sehen gibt, überhaupt „wahr“ ist.

Noch schwerer aber ist es, aus einer oft nur fragmentarischen Kenntnis der „Wahrheit“ die richtigen Schlüsse zu ziehen, und sei es nur als Kommentator. Was bedeutet es etwa, wenn kein Zweifel daran besteht, dass es Truppen des Assad-Regimes waren, die eines der wenigen weltweit geltenden Tabus gebrochen und Giftgas gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt haben? Was aber hat es zu bedeuten, dass sich die meisten Christen und ihre religiösen Führer nur dann eine Zukunft für sich und ihre Gemeinschaften in Syrien sehen, solange das Assad-Regime an der Macht ist? Auch mir ist das Gefühl alles andere als fremd, dass ich oft sehr genau weiß, dass ich eigentlich nichts weiß – oder jedenfalls nicht so viel, wie ich wissen müsste, um eine Situation ethisch zu bewerten.

Damit bin ich zum Schluss doch wieder bei dem salomonischen Bild des „hörenden Herzens“. Eben habe ich davon gesprochen, dass es darauf ankommt, über der Explosion der Granaten und der ohrenbetäubenden Kriegspropaganda, die die Sinne verwirrt, die Stimme – biblisch gesprochen - der Schwachen, der Kinder, der Alten, der Witwen und der Waisen nicht zu überhören.

In dem Dilemma namens „Wahrheit“ gilt es aber auch, auf weitere Stimmen zu hören: die Stimmen derer, die die Hoffnung auf Frieden gegen jede Hoffnung und damit auch in den dunkelsten Stunden nie aufgeben haben. Lässt man die vergangenen zwanzig Jahre Revue passieren, dann gibt es nicht viele Momente, in denen die Hoffnung auf Frieden und Versöhnung obsiegte. Einer davon war sicher die Vermittlung des Friedens in Mocambique durch Mitglieder der Gemeinschaft Sant`Egidio. Viele Initiativen, große und kleine, haben sich diese große Geste seither zum Vorbild genommen. Auch das jährliche Friedenstreffen steht in der Kontinuität dieses Friedenszeichens – und in der Kontinuität des Friedenszeichens, das Papst Johannes Paul II. mit dem Friedenstreffen von Assisi im Jahr 1985 gesetzt hat. Solange es diese Zeichen gibt und solange es Menschen gibt, die sich an diesen Zeichen aufrichten und ihr „hörendes Herz“ stärken, solange ist die Hoffnung auf Frieden nicht gestorben.

 


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