| 11 November 2014 |
Mauerfall bewegt fast 1000 Schüler |
Friedensmarsch durch die Würzburger Innenstadt – Auch heute sind Grenzen abzubauen |
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Schüler von heute kennen ihre Heimat nicht mehr als geteiltes Land. Von der Berliner Mauer erfahren sie nur noch durch Erzählungen und aus Geschichtsbüchern. „Das muss eine schreckliche Zeit gewesen sein. Deswegen finde ich es gut, wenn Jugendliche, die das nicht miterlebt haben, aufgeklärt werden“, sagt die 15-jährige Sina über die Trennung Deutschlands in BRD und DDR. Sie war eine von fast 1 000 Schülern, die sich am Montag einem „Walk for Peace“ durch die Würzburger Innenstadt angeschlossen haben.
Um an den Mauerfall vor 25 Jahren zu erinnern, gingen Jugendliche von 9. bis 12. Jahrgangsstufe der Würzburger Gymnasien, Realschulen und Förderschulen auf die Straßen. Mit lauter Musik und zahlreichen Schildern forderten sie außerdem Frieden, Freiheit und mehr Integration für Flüchtlinge und Einwanderer.
„Ich finde das wichtig, dass man die Mauer und die Leute, die deswegen sterben mussten, nicht in Vergessenheit geraten lässt“, findet die 17-jährige Michelle. Auch Schülerin Svenja freut sich, bei dem Gedenkmarsch dabei zu sein: „Das ist eine gute Sache, daran zu erinnern. Wir haben sonst auch wenig Gelegenheit, Zeitzeugenberichte aus erster Hand zu hören“, sagt die 17-Jährige.
In Zusammenarbeit mit zahlreichen Würzburger Schulen hat die christliche Gemeinschaft Sant' Egidio den „Walk for Peace“ organisiert. „Der Verband will den Frieden. Dazu ermutigen wir alle, in der Gesellschaft etwas aktiv mitzubewegen“, so Sant' Egidio-Vertreter Hans Ulrich. Bei der Aktion ging es nicht nur um den Mauerfall. Ulrich: „Wir wollen den Blick weiter richten, nämlich auf die Mauern in den Köpfen. Gemeint sind Barrieren zwischen jung und alt, Einheimischen und Flüchtlingen, die es heute noch zu überwinden gilt.“ Schirmherr der Aktion war Oberbürgermeister Christian Schuchardt. Für die Stadt erinnerte Bürgermeisterin Marion Schäfer-Blake an die bewegenden Tage nach dem Mauerfall, als am ersten Wochenende rund 2400 Bürger aus Suhl und Thüringen nach Würzburg kamen.
Der Gedenkmarsch startete am Originalstück der Berliner Mauer am Berliner Platzes. Von dort marschierten die Schüler durch die Semmelstraße, die Textorstraße und die Haugerpfarrgasse sowie die Kaiserstraße bis zur Posthalle, wo eine Schlussveranstaltung mit Zeitzeugen- und Flüchtlingsberichten, Breakdance-Einlagen und verschiedenen Beiträgen für die Schüler stattfand.
„Eine wunderbare Aktion. Gerade die junge Generation weiß viel zu wenig über die Geschichte der DDR. Ich unterstütze das sehr gerne.“ Birgit Schlicke freute sich, als Zeitzeugin zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte beitragen zu können. Die 45-Jährige wurde 1969 in Görlitz geboren und 1985 nach einem Ausreiseantrag der Eltern mit einem Bildungsverbot belegt. „Ich fühlte mich eingesperrt. Das ganze Leben in der DDR war sehr politisch. Sogar die Lehrer bespitzelten uns“, berichtet sie von ihrer damaligen Schulzeit.
Nach der 11. Klasse musste sie die DDR-Oberschule verlassen. Ein weiterer, eigener Ausreiseantrag und ein Protestschweigemarsch veranlassten Schlickes Inhaftierung wegen „landesverräterischer Nachrichtenübermittlung“. Sie wurde zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Ihre Strafe verbüßte sie im „schlimmsten Frauengefängnis der DDR“, in Hoheneck. Von dem Mauerfall erfuhr sie in einem Fernsehbericht, als sie noch inhaftiert war. Nach fast zwei Jahren Zuchthaus wurde die Görlitzerin nach dem Mauerfall am 9. November erst am 17. November 1989 entlassen.
Wie sich Jugendliche in Würzburg heute engagieren können, stellten die beteiligten Schulen in der Posthalle vor. Schüler haben die Möglichkeit, sich bei der Aktion „Schule ohne Rassismus“, „Flüchtlingskinder in der Gemeinschaftsunterkunft“ der Jakob-Stoll-Realschule, „Generationentreff – Schüler besuchen Senioren“ der David-Schuster-Realschule und „Friedensschule“ von Sant' Egidio zu beteiligen.
Die Schüler des 21. Jahrhunderts haben die DDR-Zeit zwar nicht miterlebt. Sie sind dafür aber Zeitzeugen von Barrieren, die die Menschen heute von bewegen. Auch der 16-jährige Philipp kennt den Mauerfall nur aus Erzählungen und Berichten, findet Aktionen wie den Gedenkmarsch aber wichtig: „Ich finde gut, dass daran erinnert wird. Wenn Fehler in Vergessenheit geraten, passieren sie vielleicht wieder.“
Jasmin Schindelmann
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