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Unterstützung der Gemeinschaft

  
18 Dezember 2015

Italienische Kirchen wollen Flüchtlinge mit Visa unterstützen

Das Nadelöhr nach Europa

 
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Die christliche Gemeinschaft Sant'Egidio will gemeinsam mit Partnern Flüchtlinge aus Lagern in Nahost und Nordafrika nach Italien holen - ganz legal. Wie das Projekt funktionieren soll, erzählt Pfarrer Leineweber von Sant'Egidio im Gespräch mit domradio.de.

domradio.de: Humanitäre Kanäle als sicherer Weg für Flüchtlinge übers Mittelmeer: Wie genau soll das gehen?

Pfarrer Matthias Leineweber (Sant'Egidio): Der Ausgangspunkt ist, dass wir entsetzt sind über das ständige Massensterben im Mittelmeer. Es muss eine Alternative geben, die legal und sicher ist, um denen, die internationalen Schutz beanspruchen können, einen Weg zu ermöglichen, ohne Schlepper nach Europa zu kommen. Das geht nur, wenn man vor Ort in verschiedenen Ländern mit Kooperationspartnern versucht, diesen Menschen ein Visum zu ermöglichen. Dann können sie nach Europa kommen und ihr Asylverfahren hier durchführen. Das ist der Sinn dieses Projektes. 

domradio.de: Für dieses Projekt haben Sie sich Partner ins Boot geholt und mit ihnen ein Abkommen unterzeichnet. Was sind das für Partner?

Leineweber: Die Träger des Projektes sind neben Sant'Egidio in Italien noch die Union der evangelischen Kirchen und die Waldenser Kirche mit ihrem Waldenser Tisch, das ist sozusagen die Caritas der Waldenser. Das Abkommen wurde vor zwei Tagen mit dem italienischen Innen- und dem Außenministerium unterzeichnet. Italien ist der Projektpartner für diesen Modellversuch. Für 1.000 Personen wurde für die nächsten Monate ein Versuch gestartet, um zu schauen, ob so etwas überhaupt realistisch ist. 

domradio.de: Was sind das für Flüchtlinge, die dieses Visum beantragen können?

Leineweber: Wir haben uns Flüchtlinge rausgesucht, die einen besonderen Schutzbedarf haben. Das sind vor allen Dingen alleinstehende Frauen und Frauen mit Kindern. Außerdem behinderte Menschen, alte Menschen und Menschen, die nachweislich Opfer von Menschenhandel und deshalb in ihrer Gesundheit und Psyche beeinträchtigt sind. Die Menschen werden in verschiedenen Flüchtlingslagern ausgewählt und bekommen dann die Möglichkeit, nach Italien zu kommen. 

domradio.de: Das Abkommen ist unterzeichet. Was sind jetzt die nächsten Schritte?

Leineweber: Wir hoffen, dass noch vor Weihnachten die ersten Flüchtlinge ankommen können. Wir haben schon Vorarbeiten in den vergangenen Monaten erledigt. Wir waren vor allem im Libanon und in Marokko in Flüchtlingslagern. Dort haben wir mit Nichtregierungsorganisationen Gespräche geführt. Die nächsten Schritte werden sein, gerade die Flüchtlinge in den Lagern im Libanon anzusprechen und dann mit dem italienischen Konsulat die humanitären Visa zu erstellen, damit sie nach Italien kommen können.

domradio.de: Sie arbeiten eng mit dem italienischen Staat zusammen. Und Sie sagen auch, dass die humanitären Visa auch Italien etwas bringen - inwiefern?

Leineweber: Das ist ja eine sehr kontrollierte Einreise. Die Menschen müssen natürliche einen Visumsantrag ausfüllen. Sie werden registriert. Es werden auch Fingerabrücke digital gspeichert. So weiß man, welche Person einreist. Bei Flüchtlingen, die mit Schleppern reisen, ist ja überhaupt nicht klar, wer da kommt. Das ist bei diesem Projekt anders. Das ist ein zusätzlicher Sicherheitsaspekt. Außerdem ist es für den Staat eine Erleichterung, weil die Projektträger zumindest in der ersten Zeit der Asylantragsbearbeitung die Unterkunft und Versorgung der Flüchtlinge sicherstellen.

domradio.de: Die humanitären Kanäle sind ein Gegenentwurf zu dem, was die EU gerade berät - zum Beispiel den Ausbau der Grenzschutzagentur Frontex. Wollen Sie bewusst eine langfristige Alternative für ganz Europa aufzeigen?

Leineweber: Ja, das Projekt soll ein Modell für ganz Europa entwickeln. Wir möchten auch gerne die deutsche Regierung als Projektpartner gewinnen. Wir glauben, dass der jetzige Zustand nicht mehr zu dulden ist und auch nicht dem humanitären Anspruch Europas genügt. Allein Sicherheitsmaßnahmen genügen nicht, weil sie die Flüchtlinge in ihrer Not nicht abhalten, trotzdem nach Europa zu kommen. Wir in Deutschland haben das beste Beispiel. Wir hatten eine Mauer, die eigentlich nicht zu überwinden war. Aber am Ende haben die Menschen es versucht, weil sie es nicht mehr ausgehalten haben. Die Flüchtlinge werden kommen, ob wir es wollen oder nicht. 

domradio.de: Glauben Sie denn, dass Ihr Modell auch tragfähig für viele Flüchtlinge ist?

Leineweber: Wir möchten den Flüchtlingsstrom mehr steuern können. Wenn sich dieses Projekt bewährt, kann es auch eine Grundlage für neue Wege sein. Damit dieses Chaos in der aktuellen Situation behoben werden kann.

Das Gespräch führte Hilde Regeniter.

 

Humanitärer Korridor

Asylsuchende, die über den Libanon, über Äthiopien oder über Marokko nach Europa wollen, brauchen künftig nicht unbedingt mehr ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Die römische Basisgemeinschaft Sant'Egidio, auch "UNO von Trastevere" genannt, hat zusammen mit der Föderation Evangelischer Kirchen Italiens (FCEI) die Idee eines humanitären Korridors entwickelt: Frauen, Kinder und Behinderte, die in größter Not sind, sollen in diesen Ländern Einreisevisa nach Italien erhalten. Mit einer Million Euro sollen zunächst Aufnahme und Integration von 1.000 Menschen möglich gemacht werden.

Die Schutzsuchenden sollen demnach auf ihrer Reise von Nahost bzw. Nordafrika nach Italien begleitet und dann zunächst von Sant'Egidio aufgenommen werden. Einmal in Europa, dürfen die Geretteten Italien nicht verlassen. Die Aufnahme erfolgt in Piemont, Sizilien, der Toskana und in Rom. Hier wird den Flüchtlingen ein Integrationsprogramm angeboten mit Sprachkursen, Arbeitsvermittlung und Unterstützung beim Schulbesuch für die Minderjährigen. (KAP)