Die Vereinten Nationen von Trastevere

Auf ihrem Friedenstreffen in Münster zeigt die Gemeinschaft Sant’Egidio, wie sie politische und religiöse Führer aus allerWelt zusammenbringt

MÜNSTER, 11. September. Der 20. Juni 2017 sollte als ein historischer Tag in die Geschichte der Zentralafrikanischen Republik eingehen. Am Sitz der Gemeinschaft Sant'Egidio in Rom unterzeichneten Vertreter der Regierung und zahlreicher militärisch-politischer Gruppen, die das bitterarme und religiös gespaltene Land seit Jahrzehnten mit Terror und Gewalt überziehen, ein Waffenstillstandsabkommen und einen Zeitplan für eine Befriedung des Landes. Andrea Riccardi, der die Gemeinschaft 1968 in Rom ins Leben gerufen hatte, schien wieder einmal am Ziel - wie schon 1992 in Mocambique, im vergangenen Jahrzehnt in Guinea- Conakry und 2010 in Niger.

Schon damals hatten römische und einheimische Mitglieder der Gemeinschaft in aller Stille zwischen verfeindeten Parteien und Ethnien vermittelt und beiden Ländern einen Weg zum Frieden eröffnet. Sollte ein solcher Schritt nicht auch in dem seit der Unabhängigkeit nie zur Ruhe gekommenen Land gelingen? Zumal die Gemeinschaft im vergangenen Jahr so zwischen christlichen und muslimischen Milizen vermittelt hatte, dass Papst Franziskus bei seinem symbolträchtigen Besuch in der Hauptstadt Bangui die von Gewalt gezeichneten Stadtviertel gefahrlos betreten konnte?

Allen guten Vorzeichen zum Trotz war die Übereinkunft vom Juni das Papier nicht wert, auf das die Vertreter der rivalisierenden Gruppen ihre Unterschrift gesetzt hatten. Die Waffen in der Zentralafrikanischen Republik schwiegen nicht einmal einen Tag. Und nun? Rückschläge dieser Art sind für Riccardi und das mittlerweile weltumspannende Netzwerk der Gemeinschaft Sant'Egidio nichts Neues.

Die Hoffnung auf Frieden und Versöhnung aufgegeben hat die Gemeinschaft nie. Im Gegenteil. Wenn Sant'Egidio einmal im Jahr Wegbegleiter und Freunde aus Politik und Gesellschaft in West und Ost, Nord und Süd, Repräsentanten aller großen und vieler kleiner Religionen und nicht zuletzt ihre Mitglieder zu einem internationalen Friedenstreffen an irgendeinen Ort in Europa einlädt, dann in der Gewissheit, dass Religionen und kulturelles Anderssein Quellen des Hasses sein können, aber nicht müssen.

Vor mehr als dreißig Jahren hat sich Sant'Egidio der Aufgabe verschrieben, jenen "Geist von Assisi" am Leben zu erhalten, den Papst Johannes Paul II. mit dem ersten interreligiösen Friedensgebet 1986 entfacht hatte. Längst hat sie sich den respektvollen Beinamen "UN von Trastevere" erworben. Doch längst sind auch viele lokale Gemeinschaften außerhalb jenes römischen Stadtviertels, in dem die Gemeinschaft gegründet wurde, zu kleinen Vereinten Nationen geworden, sei es in Kiew oder in Lahore, in San Salvador oder der Zentralafrikanischen Republik.

Viel Aufhebens macht die Gemeinschaft von ihren weltumspannenden Kontakten und Beziehungen nicht. Auch das Programm eines Friedenstreffens wie jenes, das sich seit Sonntag in Münster und Osnabrück abspielt, vermittelt nur eine Ahnung dessen, was sich übers Jahr, aber auch bei Veranstaltungen wie dieser hinter den Kulissen Gesprächen abspielt. Warum sonst wäre es nötig, dass vom Russischen ins Japanische übersetzt wird und aus dem Italienischen ins Chinesische?

Eine, die beim letzten Friedenstreffen der Gemeinschaft auf deutschem Boden in München im Jahr 2011 zum ersten Mal dabei war, hat es sich nicht nehmen lassen, auch nach Münster zu kommen: Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sicher, es ist Wahlkampf. Bilder, auf denen die CDU-Politikerin von Religionsführern aus aller Welt umringt wird, mögen da nicht schaden. Doch für die Kanzlerin ist der Besuch der Eröffnungsveranstaltung kein Routinetermin. Bilder halten fest, wie sie in der ersten Reihe neben Ahmad Muhamed al Tayyeb Platz nimmt, dem Großimam der Al-Azhar-Universität in Kairo und langjährigen Freund der Gemeinschaft. Aufmerksam lauscht das Auditorium ihren Worten, als sie sich direkt an Mahamadou Issoufou wendet, den ebenfalls anwesenden Staatspräsidenten von Niger. Von einer Allianz für die Sahara ist die Rede und von der Notwendigkeit, den Ländern südlich der Sahara auf partnerschaftlichem Weg jenseits der klassischen Entwicklungshilfe neue Perspektiven zu eröffnen: Es fallen die Worte Rahmenbedingungen für private Investitionen und Bildung. Und mit vielen Emotionen in der Stimme dankt sie der Gemeinschaft dafür, dass sie sich seit Jahren für "humanitäre Korridore" starkmacht, in denen besonders schutzbedürftige Flüchtlinge aus den Lagern in der Türkei, im Libanon und aus Jordanien nach Europa kommen können, ohne sich einer Gefahr an Leib und Leben auszusetzen. Mehrere hundert Frauen und Kinder, aber auch Kranke sind auf diesem Weg schon nach Italien gekommen. Mit der polnischen und der französischen Regierung ist die Gemeinschaft im Gespräch. Und in Belgien hofft die dortige katholische Bischofskonferenz auf eine Vereinbarung mit der Regierung über die Aufnahme von 500 besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen.

Auch die Bundesregierung scheint für ein Resettlement-Programm im Geist von Sant'Egidio offen zu sein. "Wir sind bereit, uns an der humanitären Aufnahme besonders Schutzbedürftiger zu beteiligen", sagt Merkel und bezieht sich ausdrücklich auf Flüchtlinge, die unter unmenschlichen Bedingungen in Libyen festgehalten werden. "Legale Migration statt Sterben auf dem Mittelmeer" - dafür ist ihr der Beifall eines Auditoriums sicher, mit dem es in seiner Internationalität nur noch die Vereinten Nationen aufnehmen können.


[ Deckers Daniel ]