50 Jahre Sant’Egidio in Würzburg: Freundschaft, Engagement ohne Vorbehalte, in der Peripherie der eigenen Stadt

Das Volk der Gemeinschaft feiert mit dem neuen Bischof Franz Jung und vielen Freunden - Homilie von Bischof Franz Jung

Zum 50. Jubiläum dankte die Sant’Egidio in Würzburg bei einem feierlichen Gottesdienst mit den ärmeren Freunden und vielen Wegbegleitern dieser Jahre für den Weg der Gemeinschaft. Bischof Franz Jung, der vor wenigen Monaten geweiht worden war, dankte der Gemeinschaft für ihr fruchtbares Wirken in der Diözese und in ganz Deutschland und erinnerte daran, dass in Würzburg Anfang der 80er Jahre Sant’Egidio zum ersten Mal in einer Stadt außerhalb Italiens ansässig wurde.

In der Homilie verglich er das Wirken von Sant’Egidio mit Zügen aus dem Leben des Tagesheiligen Franz Xaver. Das Geheimnis des christlichen Lebens sei die Freundschaft zu allen und ohne Ausnahme, die alle Grenzen und Trennungen überwindet und fähig ist, auch in schlimmen Konfliktgebieten Frieden zu stiften. Zudem sei für Andrea Riccardi und die Gemeinschaft charakteristisch, dass sie sich ohne lange Diskussionen oder Vorbehalte in Situationen von Leid und Armut einsetze. So haben die Jugendlichen der 68er Jahre einfach begonnen, solidarisch mit den Peripherien zu sein. Diese sofortige Bereitschaft, in Notlagen zu helfen, ohne lange zu überlegen, ob die Ressourcen ausreichend sind, sei auch heute ein schöner und wertvoller Zug von Sant’Egidio, so der Bischof weiter, der als dritten Aspekt die Tatsache hervorhob, dass der missionarische Einsatz nicht nur bedeute, in die Ferne zugehen, sondern die eigene Stadt anzuschauen und dort tätig zu werden. Evangelisierung sei dabei kein Aufzwingen von einer Wahrheit, die unbedingt vom Anderen akzeptiert werden müsse. Vielmehr gehe es darum, einen gemeinsamen Weg einzuschlagen, während man gemeinsam auf Jesus schaut und das Evangelium zu leben versucht.

Zahlreiche befreundete Priester und Ordensleute nahmen am Gottesdienst teil und auch viele Wegbegleiter der vergangenen Jahrzehnte. Nach der feierlichen Eucharistiefeier wurde das Fest im Haus der Gemeinschaft voller Freude fortgesetzt, das wirklich ohne Grenzen mit allen ärmeren und reicheren, jüngeren und älteren Freunden gefeiert wurde. Prof. Reder versicherte in seinem Grußwort, dass Sant’Egidio in Deutschland auch in den kommenden 50 Jahren gern als Teil der Kirche und der Gesellschaft mithelfen möchte, dass eine Kultur der Freundschaft und des Zusammenlebens aufgebaut werden, während in Zeiten der Globalisierung sich Menschen häufig in ihrer kleinen Welt verschließen.

 

Predigt von Bischof Dr. Franz Jung beim Gottesdienst zum 50. Gründungsjubiläum der Gemeinschaft Sant’Egidio in der Würzburger Seminarkirche Sankt Michael am Montag, 3. Dezember 2018

 

Liebe Mitglieder der Gemeinschaft Sant’Egidio,

liebe Schwestern und Brüder,

von Herzen freue ich mich, mit Ihnen allen heute das fünfzigjährige Bestehen ihrer Gemeinschaft zu begehen. Meine Glückwünsche begleiten dieses schöne Fest. Ich verbinde sie mit meinem aufrichtigen Dank für das segensreiche Wirken der Gemeinschaft in unserem Bistum, der ersten Niederlassung außerhalb Italiens und der ersten Niederlassung in Deutschland, aber auch für ihr Wirken weit darüber hinaus in der ganzen Welt.

Die Kirche begeht heute den Gedenktag des heiligen Franz-Xaver. Welch schöne und passende Fügung. Das Leben dieses großen Heiligen kann als Inspirationsquelle für das dienen, was die Gemeinschaft von Sant‘Egidio bewegt und was sie lebt.

Geistliche Freundschaft in Christus ist fruchtbar

Franz Xaver gehörte zur Gruppe der ersten sieben Jesuiten. Ein Mann der ersten Stunde. Zeit seines Lebens verband ihn eine innige Freundschaft mit dem heiligen Ignatius. Seit ihrem gemeinsamen Studium in Paris hatte der ältere Ignatius den Werdegang des Franz Xaver begleitet. Ignatius war es auch gewesen, der die Karriere-Pläne des Franz Xaver immer wieder hinterfragt hatte. Mit dem Satz aus dem Evangelium: „Was nützt es dem Menschen, wenn er die Welt gewinnt, und darüber seine Seele verliert“, war es Ignatius gelungen, den Ehrgeiz und Eifer seines Schülers auf die Nachfolge Christi zu lenken. Ignatius war ihm Seelenführer und Freund geworden. Die tiefe innere Verbindung, die diese beiden Männer einte, schlug sich auch in den bewegenden Briefen nieder, die Franz Xaver aus weiter Ferne an seinen Freund Ignatius richtete. Er grüßt ihn immer als der Bruder, der am fernsten von ihm weilt und der nichts sehnlicher wünscht, als einander in diesem Leben noch einmal sehen zu dürfen. Ein Wunsch, der ihm versagt blieb. Seinen letzten Brief erhielt Ignatius fast ein Jahr nach dem Tod des geliebten Freundes.

Die tiefe Freundschaft dieser beiden Missionare war keine Freundschaft, die andere ausschloss. Nein, es war eine geistliche Freundschaft in Christus. Diesem Herrn wollten beide mit all ihrer Kraft dienen. Als Ignatius auf Bitten des portugiesischen Königs gefordert war, zwei seiner Brüder nach Indien zu entsenden und der zweite Bruder plötzlich erkrankte, fragte Ignatius ohne Umschweife Franz Xaver. Dieser zögerte nicht lange, sondern gab sein Einverständnis und brach auf der Stelle nach Indien auf.

Wahre Freundschaft um Jesu willen kennt also auch Trennung, eine Trennung, die im Letzten aber mehr miteinander verbindet, als wenn man zusammengeblieben wäre. Denn in der Trennung sind beide wieder vereint in der Verfolgung des gleichen Ziels: die Welt für Christus zu erobern.

Die Kategorie der Freundschaft spielt für die Gemeinschaft von Sant’Egidio eine wichtige Rolle. Als geistliche Freundschaft kennt sie eine Offenheit für Dritte und verhindert, dass sich die Gemeinschaft zu einem Club absondert und sich um ihre geistliche Fruchtbarkeit bringt. Wie Franz Xaver sind auch wir immer Ersatzleute – Menschen, die an die Stelle anderer treten, die verhindert sind, um beherzt dem Herrn zu dienen.

Aufbrechen ohne Vorbereitung

Noch heute wundert man sich über den Mut, oder soll man sagen über die Tollkühnheit, mit der die ersten Jesuiten und insbesondere Franz Xaver aufbrachen in die Weite Ferne. Da gab es keine Sprachkurse, keinen landeskundlichen Unterricht. Da brauchte es keine langwierigen Impfungen und Versicherungen oder andere Vorkehrungen. Franz Xaver stand auf und ging, um sich einzuschiffen und dem Ruf Christi zu folgen. Man muss einfach anfangen. Viele gute Initiativen bleiben bei uns oftmals aufgrund bürokratischer Hürden stecken. Oder man macht die Dinge komplizierter als sie sind. Ich meine nicht, dass man sich blauäugig in jedes Abenteuer stürzen muss. Aber ein wenig von dem Wagemut des Heiligen Franz Xaver würde uns sicher nicht schaden. Sein Pioniergeist und seine tiefe Christusliebe haben ihn alles andere vergessen lassen.

Auch das Engagement von Sant’Egidio in Roma hat begonnen mit Menschen, die sich von der Not ihrer Mitmenschen anrühren ließen. Die ersten Mitglieder der Gemeinschaft haben einfach angefangen ohne noch einen konkreten Plan zu haben. Sie ließen sich führen von der Vorsehung Gottes, der sie immer tiefer ihr Charisma erkennen ließ. Einfach anfangen – das ruft uns auch der Papst zu in Evangelii Gaudium. Er sagt uns, dass jeder Getaufte eine Mission hat und dass die Ausrede, man habe sich noch nicht eingehend vorbereiten können, nicht zählt (EG 120). Wer eine Mission hat, beginnt. Und der Herr wird ihn führen in seinem heiligen Geist.

Seelen für Christus gewinnen – nicht für, sondern mit ihnen Christus dienen

Als Missionar des 16. Jahrhunderts war Franz Xaver erfüllt von der Sorge, Seelen für Christus zu gewinnen und sie vor der ewigen Verdammnis zu bewahren. Wir heutigen mögen mitunter den Kopf schütteln, wenn wir lesen, dass er in einem Jahr tausende von Menschen taufte. Zeit für eine intensive Glaubensunterweisung fand er nicht. Im ungeheuren Arbeitsanfall entwickelte er eine Elementarisierung der Glaubenslehren, indem er den Taufwilligen die Grundgebete vermittelte und sie auf ansprechende Weise darzulegen versuchte. Ohne zu zögern verkündete er Gefangenen, Sklaven und freigelassenen Galeerensträflingen das Evangelium. Anfangs war Franz Xaver noch von der Überzeugung erfüllt, den Armen das Evangelium zu bringen, denen er sich in gewisser Weise überlegen dünkte.

Das änderte sich schlagartig bei seiner Begegnung mit den Japanern. In ihnen hatte er seinen Meister gefunden. Hochgebildet und stolz auf ihre eigene Tradition ließen sie Franz Xaver erkennen, dass Mission Begegnung auf Augenhöhe bedeutet. Indem er ihre Kultur und ihren Lebensstil besser zu verstehen suchte, lernte er auch seinen eigenen Glauben noch einmal neu zu reflektieren. Ihm wurde klar, dass man das Evangelium dem anderen nicht einfach überstülpen kann, sondern mit ihm gemeinsam lernen muss, was das Evangelium jetzt, an diesem Ort diesen Menschen sagt.

Ich denke, die Gemeinschaft von Sant’Egidio hat ähnliche Erfahrungen machen dürfen. Zunächst folgte sie dem Ruf, etwas für andere Menschen machen zu sollen. Im Laufe der Zeit erkannte man, dass man gar nicht der Gebende ist, sondern dass man im Geben auch Empfangender ist und dass jeder etwas zu geben hat, selbst noch der Ärmste, der mir zunächst so ganz fremd schien. Die Herausforderung, sich in andere Lebenswelten hineinzudenken und vom anderen her und mit ihm den gemeinsamen Glaubensweg zu gestalten, ist eine große Bereicherung und nicht zuletzt eine Quelle beständigen Friedens.

„Dein Indien ist Rom“ – oder Würzburg…

Als die ersten Briefe des Franz Xaver Europa erreichten und man den Eifer des Heiligen förmlich aus jeder Zeile seiner Briefe heraus spürte, entschloss man sich, die Briefe öffentlichkeitswirksam zu verbreiten. Binnen kurzem wurden die Briefe zu einem Fanal. Viele junge Menschen fühlten sich durch sein Beispiel berührt und angesprochen und drängten sich danach, in den neuen Kolonien als Missionare zu dienen. Ähnlich erging es dem Heiligen Philipp Neri. Auch er drängte sich danach, nach Indien aufzubrechen. Allein seine schwächliche Konstitution verhinderte einen Einsatz in Übersee. Franz Xaver selbst empfahl Ignatius im Rückblick auf seine eigenen Strapazen, vor allem Deutsche und Holländer nach Indien zu senden, die aufgrund ihrer robusten körperlichen Verfassung den Anforderungen besser gewachsen wären…

Dem enttäuschten Philipp Neri wurde daraufhin von seinem Beichtvater gesagt: „Sei nicht traurig! Dein Indien ist Rom“. Hänge nicht einem Traum nach, der nie Wirklichkeit werden wird, sondern lebe das Evangelium da, wohin der Herr dich gestellt hat. Und so wurde Philipp Neri zum zweiten Patron Roms, der maßgeblich die katholische Reform des 16. Jahrhunderts mitgestaltet und zur Erneuerung des geistlichen Lebens in Rom beigetragen hat.

„Dein Indien ist Rom“ – Indien ist da, wohin der Herr uns sendet. Es muss nicht nach Übersee sein. Es reicht, vor der eigenen Haustür zu beginnen. Schön, dass sie als ihr Indien Würzburg entdeckt haben und den Ruf des Herrn angenommen haben, hier für ihn zu gehen und für ihn zu wirken. Noch viele erfüllte und fruchtbare Jahre unter dem Segen des Herrn und des heiligen Franz Xaver!