75 Jahre nach der Atombombe in Hiroshima. Der wahnsinnige Wettlauf muss beendet werden

Reflexion von Marco Impagliazzo bei Avvenire



Am 6. August 1945, vor 75 Jahren, explodierte eine Atombombe über Hiroshima. Drei Tage später wiederholte sich dieselbe Tragödie in Nagasaki. In einem Augenblick wurde das Leben Zigtausender Menschen ausgelöscht, nicht gezählt, was an Leid und Tod in den Tagen und Jahren danach folgte. Bei seiner Reise nach Japan erinnerte Papst Franziskus daran: Sie ertrugen im eigenen Körper "Keime des Todes, die an ihrer Lebensenergie weiter gezehrt haben." Während wir mit einem anderen Todeskeim beschäftigt sind, der das Leben des Planeten erschüttert hat, ist es gut, die anderen Gefahren für die Menschheit nicht zu vergessen, darunter auch die atomare Gefahr, die Schritt für Schritt größer geworden ist, während die Nationen die Fähigkeit entwickeln, diese ersten Bombardierungen zu wiederholen und zu vervollkommnen und diese Todeswerkzeuge zu vervielfältigen. Am vergangenen 24. November sagte der Papst am Friedensdenkmal von Hiroshima: "Deshalb dürfen wir nicht zulassen, dass die gegenwärtigen und künftigen Generationen die Erinnerung an das Geschehene verlieren; jene Erinnerung, die Garantie und Ansporn ist, um eine gerechtere und brüderlichere Welt zu erbauen; ein Gedächtnis, das sich verbreitet, um die Gewissen aller Männer und Frauen aufzurütteln, insbesondere der heutigen Verantwortungsträger der Nationen; eine lebendige Erinnerung, die helfen möge, von Generation zu Generation zu sagen: Nie wieder!" Dieser 75. Jahrestag muss eine Mahnung und Verpflichtung sein und zu einer Kraft und weitsichtigen Zukunftsinitiative werden. In den vergangenen Monaten haben wir wiederholt verstanden, dass es trügerisch ist, "sich in einer kranken Welt als gesund" anzusehen. Doch eine mit Atomarsenalen durchsetzte Welt ist wirklich krank, wenn die Gefahr unterschätzt wird, verrät dies eine illusorische Gesundheit. Mit dem Ende des kalten Krieges haben wir uns nicht von der Gefahr einer atomaren Apokalypse befreit: nach einer starken Abnahmen nimmt die Zahl der Atomwaffen wieder zu. Die globale Unordnung einer Welt ohne Zentrum, der Egoismus einiger, die Zerstreuung und der Narzismus vieler, die Schlagfertigkeit der Terrornetzwerke, die Verschärfung nationalistischer Rivalität weisen uns darauf hin, dass wir nicht immun sind und dass unsere Generation immer noch von der Katastrophe bedroht ist. "Wir erleben gerade eine Erosion des Multilateralismus, was noch schwerer wiegt angesichts der Entwicklung neuer Waffentechnologien; dieser Ansatz scheint zum gegenwärtigen, von Vernetzung geprägten Kontext ziemlich im Widerspruch zu stehen und stellt eine Situation dar, welche dringliche Aufmerksamkeit seitens aller Verantwortungsträger als auch Einsatz verlangt", mahnte der Papst in Nagasaki. Heute kann auf unserem Planeten schnell Krieg geführt werden. Doch es ist schwer, ihn zu beenden. Wer garantiert in einem zersplitterten Umfeld mit all diesen Kriegsakteuren, dass es eine Kontrolle gibt, die zu unserem Glück im vergangenen Jahrhundert die USA und die UdSSR durchgeführt haben? Das Gedenken an die Ereignisse vor 75 Jahren führt dazu, sich um das Heute und das Morgen zu sorgen. Internationale Institutionen, Regierungen und öffentliche Meinung: alle müssen sich mit der Erinnerung geschäftigen. Ein Handeln ist nötig, um das Undenkbare abzuwenden und Begegnungsmöglichkeiten nicht mehr auf der Grundlage der Angst, sondern des gemeinsamen Interesses zu schaffen. Das Gleichgewicht des Schreckens ist ein Faden, der täglich in Gefahr ist zu zerreißen. Der Aufbau des Dialogs stärkt täglich die Hoffnung der Menschheit. Das Atomzeitalter war nicht nur eine epochale Zäsur für die internationalen Beziehungen und die Geschichte der Kriege. Es hat auch zu einer Wende im Bereich der Kultur und der Mentalität geführt. Durch die Atombombe stand die Menschheit vor der Verantwortung der Möglichkeit einer vollkommenen gegenseitigen Vernichtung. Nach Jahrzehnten eines heiklen Gleichgewichts des Schreckens sind wir in die Schieflage des Terrorismus geraten. Einerseits ist die Gefahr in die Nähe gerückt und unvorhersehbar geworden; andererseits haben wir vergessen, dass jeder Krieg der letzte sein könnte. Eine Wende ist notwendig: das Gewissen muss reifen und verantwortlich sein im Bewusstsein des unermesslichen Potentials an Tod und auch an Leben, das der Menschheit zur Verfügung steht. Der Krieg, vor allem der Atomkrieg, steht für die Leugnung der Verantwortung für den Menschen und die Umwelt, die das Schicksal der Natur, aller Lebenwesen und der Menschen miteinander verbindet. Gegen diese Gefahr ist das Ja von 122 Staaten zum von der UNO ausgehandelten Atomwaffensperrvertrag ein Schutzwall. Dieser Einsatz muss entschieden mit dem für soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz auf der Grundlage einer echten Friedenskultur verbunden werden, der die Herzen und das Denken verändert. Die Kirche setzt sich als "Expertin der Menschlichkeit" weiter für das "Nie wieder Krieg" ein, das Paul VI., an dessen Todestag heute erinnert wird, mit eindringlicher Stimme 1965 bei der ersten historischen Rede eines Papstes in der Generalversammlung der Vereinten Nationen ausgesprochen hat.


[ Marco Impagliazzo]