Krise in der Ukraine: die Großzügigkeit in Italien ist ein gutes Zeichen. Leitartikel von Andrea Riccardi

Anders als in der Vergangenheit hat uns diese schreckliche Invasion zu einer verantwortungsvolleren Aufnahme von Flüchtlingen veranlasst.
Die Krise ist enorm. Kolonnen von Ukrainern verlassen die Kriegsgebiete. Sie suchen Zuflucht in Lemberg und Galizien, wo die Botschaften untergebracht sind. Die Region ist zu einem sicheren Rückzugsgebiet geworden, obwohl der Flughafen von den Russen zerstört worden ist. Viele überqueren die Grenze und warten tagelang: vor allem in Richtung Polen, aber auch in Richtung Slowakei, Ungarn und Rumänien. Eine große Welle von Flüchtlingen wird bald eintreffen. Es ist die Rede von sechs Millionen. Wie werden sich die europäischen Länder verhalten? Man könnte Befürchtungen haben, wenn man sich an die Krise im Jahr 2015 erinnert, als das Visegrad-Europa eine Mauer gegen die Syrer errichtete und sich daraufhin weigerte, eine Quote der auf dem Kontinent angekommenen Menschen aufzunehmen. Dann kamen 1.200.000 Syrer nach Deutschland. Kürzlich wurden an der polnisch-weißrussischen Grenze 4.000 Migranten, deren Ankunft von Weißrussland gefördert wurde, um die Europäische Union in Schwierigkeiten zu bringen, auf traurige Weise zurückgewiesen: 12.000 polnische Soldaten schickten sie zurück. Eine sehr schmerzhafte Situation.
Angesichts des ukrainischen Dramas waren die Reaktionen zum Glück wohlwollend. Zunächst einmal ist Polen sehr großzügig gewesen. Auf drei geflüchtete Ukrainer kamen zwei, die in Polen Zuflucht fanden, so dass sich die Gesamtzahl auf über eine Million erhöhte. Es gibt bereits eine große ukrainische Gemeinde in diesem Land. Die Flüchtlinge wurden richtigerweise in den Städten und nicht in abgelegenen Orten angesiedelt. Es gibt ein starkes Gefüge der Solidarität. Polen ist kein Einzelfall in Europa, auch wenn Großbritannien sie nur zögerlich aufzunehmen scheint. Ukrainer warten in Calais auf die Einreise in das Vereinigte Königreich, während offenbar nur 300 Einreisevisa erteilt worden sind.
In Italien hingegen haben wir ein großes Interesse an Ukrainern festgestellt. Die Menschen sind auf der Suche nach Informationen und aktuellen Nachrichten, sie hoffen auf eine Einigung zur Beendigung des Krieges. In den vergangenen Jahren herrschte jedoch eine gewisse Apathie der öffentlichen Meinung gegenüber internationalen Krisen, die als komplex und schwer zu entschlüsseln wahrgenommen wurden. Es hatte den Anschein, als sei der Frieden von geringerem Interesse und als hätten sich die Menschen mit dem Krieg, den andere erlebten, abgefunden. Heute, mit der Ukraine-Krise, mit der Androhung (die hoffentlich nur Propaganda ist) eines Atomkonflikts, sehen wir, dass selbst ein entfernter Krieg in die Nähe rückt.
Hier spielt die Information eine wesentliche Rolle. Aus Interesse ist Solidarität geworden. Obwohl die Zahl der Ukrainer, die nach Italien gekommen sind, immer noch gering ist (über 20.000), gibt es in unserem Land eine bedeutende ukrainische Gemeinde, es sind vor allem Frauen, etwa 250.000 Menschen insbesondere in Mailand, Rom und Neapel.
In Italien häufen sich die Angebote für Geld oder Hilfe zur Unterstützung der Ukraine. Die Hilfe kann weiterhin nach Kiew geschickt werden, wenn auch unter besonderen Bedingungen. Hinzu kommen die Angebote für die Unterbringung von Flüchtlingen, die vor allem in den kommenden Wochen, wenn die Ankunftswelle zunehmen wird, von großem Nutzen sein werden.
Die italienische Großzügigkeit ist eine "gute Nachricht" an einem Horizont, der wegen des Krieges immer noch düster ist. Die Ankunft so vieler Flüchtlinge in Europa, insbesondere in Nachbarländern wie Polen, stellt die Union vor das Problem, wie die Aufnahme unter den europäischen Staaten aufgeteilt werden kann. Das ist die Art von Solidarität, die den Syrern verweigert wurde oder die Italien im Zusammenhang bei den Bootsankünften verweigert wird. Aber heute sind wir Europäer vielleicht reifer und geeinter. Diese schreckliche und nutzlose Invasion macht uns vielleicht verantwortungsvoller und besser.
 

Leitartikel von Andrea Riccardi in Famiglia Cristiana vom 20/03/2022