Gefährliche Selbstzufriedenheit

Welt-Aids-Konferenz 2018
Aids ist aus dem öffentlichen Fokus verschwunden. Das ist gefährlich: Zwar gibt es Behandlungs-Erfolge, aber es besteht auch die Gefahr, dass sie zunichte gemacht werden könnten.

Zum Auftakt des heute beginnenden Welt-Aids-Kongresses in Amsterdam hat Michel Sidibé die Alarmglocken läuten lassen. In 50 Ländern steige die Zahl der HIV-Neuinfektionen, warnte der Chef von Unaids, einen Programm der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der Immunschwächekrankheit Aids. Damit sei das UN-Ziel in Gefahr, die Welt bis 2030 von der Geißel HIV/Aids zu befreien.

Aber es gibt nicht nur den Notruf, es gibt auch gute Nachrichten im Unaids-Bericht: Insgesamt ist die Zahl der Neuinfektionen in den vergangenen sieben Jahren gesunken. Die Zahl der Todesfälle ging von 2010 bis 2017 sogar um 34 Prozent zurück und erreichte 2017 mit weniger als einer Million Menschen sogar den niedrigsten Stand in diesem Jahrhundert.

Zugang zu Behandlung ermöglichen

In den Staaten der ehemaligen Sowjetunion und Osteuropa sind es nicht nur die geografischen Gegebenheiten, die Tests verhindern, sondern die - häufig sogar durch Gesetze manifestierte - Diskriminierung von Homosexualität und Suchtverhalten. Wer Angst haben muss, dass er wegen seiner sexuellen Orientierung strafrechtlich verfolgt werden könnte, wird sich einem Test wahrscheinlich entziehen.

Präventive Impfung könnte helfen

Dabei ist eine gute medizinische und medikamentöse Versorgung inzwischen ein sehr guter Schutz, andere Menschen mit dem Virus anzustecken, aber auch eine Chance, die Lebensqualität des Infizierten zu verbessern. Die Diagnose Aids muss heute kein Todesurteil mehr sein, wenn die medizinische Versorgung sichergestellt ist. Die Lebensspanne eines HIV-Positiven gleicht heute der eines HIV-Negativen - falls der Aidskranke behandelt wird. Daran hapert es allerdings noch oft.

Können Patienten nicht über viele Jahre betreut und untersucht werden, besteht die Gefahr, dass sich Resistenzen entwickeln, wenn die Tabletten nicht dauerhaft regelmäßig eingenommen werden. Im südlichen Afrika sind inzwischen zehn Prozent der HIV-Stämme gegen Medikamente resistent. Das ist eine Katastrophe, sagen Experten.

Helfen könnte dagegen eine präventive Impfung, weil sie nachhaltiger in ihrer Wirkung sei, ohne Nebenwirkungen beispielsweise auf die Funktion der Nieren und preiswerter als jede Behandlung, sagt Hendrik Streeck. Er leitet Deutschlands erstes Institut für HIV-Forschung am Universitätsklinikum Duisburg-Essen und forscht selbst an einem Impfstoff. Seit 30 Jahren ist die Wissenschaft auf der Suche nach einem Serum. Bislang ohne Erfolg. Das liege daran, dass es sehr verschiedene Subtypen des HI-Virus gebe, sagt Streeck. Vergleichbar mit Grippeviren, die hierzulande in jedem Herbst mit einem neuen Impfstoff in Schach gehalten werden soll. Beim HI-Virus komme noch hinzu, dass sich sein Oberflächenmolekül "ständig verändere", sagt Streeck.

Finanzierung: Eine Lücke von 20 Prozent

Dennoch: Zwei Impfstoffe werden derzeit in Südafrika getestet. Wissenschaftliche Ergebnisse dieser Tests werden 2023  erwartet. Ob sie allerdings Marktreife erreichen werden, kann heute noch niemand sagen. Denn bislang ist es nicht gelungen, eine nachhaltige Wirksamkeit der Seren sicherzustellen. Die Effektivität des Schutzes sank stets rapide.

Auch Wenderlein von Sant'Egidio würde sich wie alle Wissenschaftler und Praktiker vor Ort sehr freuen, wenn es einen Impfstoff gebe. "Aber wir haben auch heute schon die Lösung in der Hand", sagt er. "Die Aidsbehandlung ist die beste Prävention." Seine NGO habe sehr gute Erfahrungen gemacht mit sogenannten Aktivistinnen, sagt Wenderlein. Unter ihnen sind viele HIV-positive Mütter, bei denen mit Medikamenten verhindert werden konnte, dass sie die Immunschwäche auf ihre Kinder übertragen. "Unser Programm ist durch die Aktivistinnen afrikanisch geworden", sagt er. Nur durch direkte Vermittlung vor Ort und in vielen kleinen Gesundheitszentren lasse sich die Pandemie wirklich einschränken. Dafür müsste aber auch die Finanzierung sichergestellt werden.

Nach Schätzungen von Unaids werden bis 2020 weltweit mehr als 26 Milliarden US-Dollar zur Aidsbekämpfung benötigt. Zwischen dem, was vorhanden sei und dem was gebraucht werde, klaffe ein Loch von 20 Prozent, sagt Unaids-Chef Sidibé.

 

2017 lebten weltweit rund 37 Millionen  Menschen, die sich mit dem HI-Virus infiziert hatten. Rund 22 Millionen von ihnen waren in medizinischer Behandlung; 2,3 Millionen mehr als im Jahr zuvor. Allerdings hatten sich auch 1,8 Millionen Menschen neu mit dem Virus angesteckt. 940.000 Menschen starben an AIDS-bedingten Krankheiten. Das war die niedrigste Todesrate in diesem Jahrhundert.


[ Katharina Sperber ]