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Die katholische Minderheit und die Furcht, dass religiöse Gewalt zurückkehrt. Leitartikel von Andrea Riccardi

Man wollte eine Kultstätte treffen

Reflexion nach dem Angriff auf die Marienkirche in Istanbul

Die Ermordung eines türkischen Mannes durch zwei Männer, die während der Messe in die katholische Marienkirche im Istanbuler Vorort Buyukdere eingedrungen waren, stellt die Sicherheit der religiösen Minderheiten in der Türkei in Frage. Kameraaufnahmen zeigen, wie zwei maskierte Bewaffnete die wenigen Gottesdienstbesucher bedrohen und einen treffen, der vor ihnen eingetreten war. Sie schießen, während die Gläubigen sich zu Boden werfen. Sie wollten in der Kirche töten, denn sie hätten den Mann vorher treffen können.
Der Vikar von Istanbul, Monsignore Palinuro, eine Persönlichkeit von großer Ausgeglichenheit und ein Kenner der türkischen Kultur, vermutet "einen religiös motivierten Anschlag, ein Motiv religiöser Intoleranz". Es handelte sich um ein Attentat, das in einer Kirche verübt wurde: einer kleinen Kirche aus dem 19. Jahrhundert, die zwischen Mauern und Häusern eingeschlossen war, wie es nicht-muslimische Gebetsstätten in der Türkei immer sind, niemals direkt an der Straße. Diese Tatsache ist überraschend, denn die Zeit der religiösen Gewalt schien vorbei zu sein.
In Istanbul findet sich auf der zentralen Istiklal Caddesi (aus der Grand Rue de Péra der osmanischen und kosmopolitischen Zeit) unter den Geschäften eines, das der Bibelgesellschaft gehört, die offen biblische und christliche Texte verkauft. Im Oktober 2023 wurde die syrisch-orthodoxe Kirche in Istanbul eingeweiht. Dieses Ereignis, über das in den Medien viel berichtet wurde, ist einzigartig: Seit der Gründung der Republik im Jahr 1923 wurde noch nie eine Kirche im Lande gebaut. Die Kirchen sind Überbleibsel aus der Zeit vor 1914-1918, als die Christen eine Minderheit, aber sehr zahlreich waren. Präsident Erdogan nahm an der Einweihung der syrisch-orthodoxen Kirche mit christlichen Führern teil und bekräftigte den Wert des religiösen Friedens.
Der Anschlag auf die Marienkirche ist ein besorgniserregendes Zeichen, gerade in Istanbul, einer toleranten Großstadt, in der die Christen im Allgemeinen ruhig leben und die Kirchen nur für eine sehr kleine Zahl von Türken eine gewisse Anziehungskraft haben, ohne dass sie von den Gläubigen missioniert werden. Der Mord erregt die Christen. Auf ihnen lastet die Erinnerung an die Massaker gegen historische Gemeinschaften während des Ersten Weltkriegs zur ethnischen Säuberung: die Armenier, die Syrer, die Chaldäer, die Griechen.
Die Geister der Vergangenheit sind bereits zu Beginn des 21. Jahrhunderts wieder auferstanden. Im Jahr 2006 wurde der römische Priester Andrea Santoro in der katholischen Kirche von Trabzon ermordet. Im Jahr 2007 wurde der armenische Journalist Hrant Dink, Gründer der Zeitung Agos erschossen, die sich für die türkisch-armenische Versöhnung einsetzte, aber den Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs anprangerte. Im selben Jahr wurden drei Protestanten (zwei Türken und ein Deutscher), die für einen kleinen Bibelverlag arbeiteten, in Malatya die Kehlen durchgeschnitten. Hinter den Morden wurde dieselbe Hand vermutet: die von Ergenekon, einer ultranationalistischen Gruppe mit Verbindungen zum Militär. Im Jahr 2010 wurde der Bischof von Anatolien, Luigi Padovese, ermordet, und die Tat wurde bis heute nicht aufgeklärt.
Was könnte den religiösen Hass neu entfacht haben? Heute ist die christliche Präsenz gering: 120.000 Menschen verschiedener Kirchen (21.000 Katholiken und 50.000 Armenier), 0,2 % der türkischen Bevölkerung. Aber das Land bleibt ein wichtiger Knotenpunkt für den interreligiösen Austausch und das christliche historische Gedächtnis. Der griechisch-orthodoxe Patriarch Bartholomäus, der den Ehrenvorrang unter den Oberhäupter der Orthodoxie innehat, wirkt in diesem Sinne, obwohl nur noch wenige Griechen in der Türkei leben. Er spielte eine Rolle in der religiösen Krise in der Ukraine. Ein Element könnte die Feindseligkeit ebenfalls geschürt haben: die Gaza-Frage, in der die Türkei auf der Seite der Hamas steht, während in Istanbul viele palästinensische Flaggen aus Solidarität gezeigt werden.
Jüdische Stätten in der Stadt sind gepanzert. Im Fanar (dem alten griechischen Viertel) sah ich ein Wandgemälde, auf dem Israel, Europa und die USA dargestellt sind, die palästinensisches Blut saugen. In den Vereinfachungsspielen des "globalen Hasses" ist es so einfach wie absurd, türkische Christen mit Europäern oder Amerikanern zu identifizieren. Es wäre nicht das erste Mal.
In einer von Kriegen gezeichneten Welt wächst der Hass auf diejenigen, die absurderweise als Vorposten des Feindes betrachtet werden, selbst wenn es sich um eine kleine Kirche mit wenigen Gläubigen handelt. Die Christen leben nicht ruhig. In der Türkei habe ich beobachtet, wie sie manchmal besorgt zur Kirchentür schauen, um zu sehen, wer eintritt. In einigen Teilen der Welt ist es sogar ein Risiko, am Sonntag zur Messe zu gehen.

[ Andrea Riccardi]