HOMILIEN

"Im Gebet gewähren wir dem Herrn keine Ruhe, bis Frieden in der Ukraine herrschen wird". Santa Maria in Trastevere in Rom, 23.2.2024

Meditation von Andrea Riccardi beim Gebet zum zweiten Jahrestag des Krieges in der Ukraine

Gebet für den Frieden in der Ukraine

Freitag, 23. Februar 2024
Santa Maria in Trastevere in Rom

Meditation von Andrea Riccardi zu Jes 62,1-7

 

Meditation von Andrea Riccardi

Liebe Brüder und Schwestern
wir sind heute Abend so zahlreich hier versammelt. denn wir müssen wieder auf das Wort Gottes hören, weil der Horizont dunkel ist. Wir haben fast vergessen, dass alle Völker zum Frieden bestimmt sind, besonders das ukrainische Volk, das seit zwei Jahren, seit dem Einmarsch der Russen, keinen einzigen Tag des Friedens erlebt hat.
Und ich grüße die vielen hier anwesenden Ukrainerinnen und Ukrainer und diejenigen, die jetzt mit uns verbunden sind. Ich tue dies mit großer Zuneigung, mit einem tiefer Anteilnahme an einem Drama, das zwei Jahre andauert. Wir müssen in der Tat zu den Visionen des Propheten Jesaja, zu den Visionen der Bibel zurückkehren, um unseren Blick zu weiten und den Frieden zu erkennen. Den Frieden, zu dem alle Völker bestimmt sind, auch die Ukraine, besonders die Ukraine.
Das Wort Gottes ist eine Leuchte in der Dunkelheit, die ein Licht des Friedens entzündet, denn heute scheint der Frieden eine ferne Erinnerung zu sein. Das ist so bei den dramatischen Bombardierungen, in der Dramatik der Kämpfe, aber auch in der Mentalität und Kultur zu vieler Menschen, manchmal politischer Entscheidungsträger oder Meinungsmacher, die davon ausgehen, dass der Krieg noch andauern wird, oder sogar, dass er sich ausweiten und weltweit werden kann.
Das ist kein mangelnder Realismus meinerseits, sondern eine Feststellung, dass die Sehnsucht nach Frieden in den Köpfen zu vieler Menschen dramatisch geschwunden ist. Die Sehnsucht der Leidtragenden ist jedoch nicht erloschen, die Leidtragenden warten auf Frieden. Ich denke an alle, die in der Ukraine durch die Bombardierungen geliebte Menschen verloren haben, ich denke an all die Soldaten an der Front, an ihre Mütter, Frauen, Kinder, Freunde, die um sie zittern.
Ich habe die vielen Toten auf den ukrainischen Friedhöfen gesehen, alles junge Leute, denen das Leben geraubt wurde. Und man sieht so viele verstümmelte Menschen in der Ukraine, wie man sie in Europa nie gesehen hat. Und ich denke an sie in den Jahren und Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg.
Ich denke auch an diejenigen, die die Ukraine in ein fremdes Land verlassen haben. Ich weiß, wie groß in der Ukraine der Bedarf an humanitärer Hilfe ist, weil das Leben für so viele Familien so hart ist.

Nein, das Warten auf den Frieden ist im Licht der Prophezeiung nicht verstummt: Niemand wird dich mehr verlassen nennen, dein Land wird nicht mehr verwüstet sein. Diese Worte sind, wie wir wissen, vom Propheten an Jerusalem gerichtet, aber wir hören sie an die Ukraine gerichtet, wir hören sie an Kiew gerichtet, Kiew, das in der Antike als neues Jerusalem erbaut wurde, mit seinen Kirchen, seinen goldenen Kuppeln, seinen Klöstern, seiner Erinnerung an Heiligkeit und Leid.
Wir haben den Frieden für die Ukraine und für Kiew nicht aufgegeben. Deshalb beten wir jeden Tag für den Frieden, für die Beendigung des Krieges, für die Wiederherstellung eines sicheren, gerechten und friedlichen Lebens und müssen dies auch tun.

Und so machen wir uns die Worte des Propheten zu eigen: "Um Zions willen werde ich nicht schweigen, um Jerusalems willen nicht still sein, bis hervorgeht wie ein helles Licht seine Gerechtigkeit." Und welche Gerechtigkeit ist größer als der Frieden! Wir dürfen nicht still sein, wir dürfen nicht ruhen, solange es keinen Frieden für die Ukraine gibt.
Aber unsere Worte werden nicht erhört, daher wenden wir uns an den Herrn: "Die ihr den Herrn erinnert, gönnt euch keine Ruhe! Lasst ihm keine Ruhe, bis er Jerusalem festigt und bis er es einsetzt als Ruhm auf Erden!" Lasst uns im Gebet dem Herrn keine Ruhe gönnen, bis in der Ukraine Frieden herrscht. Mit eindringlichem Gebet, dass dieser russisch-ukrainische Krieg endet, und zwar bald. Dass Kiew und die ganze Ukraine wiederhergestellt werden. Und ich muss sagen, dass das Gebet auch unser Protest gegen den Krieg ist, Protest bei Gott, Protest bei den Machthabern, Protest beim Volk.
Der jüdische Mystiker Rabbi Nachman von Breslav, der in Uman in der Ukraine begraben ist, einer Stadt, die kürzlich bombardiert wurde und wo die große jüdische Gemeinde nach 1941 vernichtet wurde, sagte: "Denkt daran, dass das Herz eurer Gebete in dem Vertrauen liegt, dass sie erhört werden." Wir vertrauen und der Herr erhört uns. Wir glauben, dass unsere Gebete erhört werden.
Und Rabbi Nachman fügte hinzu: "Du geht auf den Acker, du besiegst Gott! Gott will, dass wir siegreich sind, er will, dass wir unaufhörlich weiter beten, bis wir ihn zwingen."

Ja, liebe Brüder und Schwestern, lasst uns unaufhörlich zu Gott beten, bis wir ihn zwingen, uns Frieden zu geben. Und Jesus lehrte: "Sollte Gott seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm schreien, nicht zu ihrem Recht verhelfen, sondern bei ihnen zögern? Ich sage euch: Er wird ihnen unverzüglich ihr Recht verschaffen. Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, den Glauben auf der Erde finden?"
Der Schrei ist das Gebet derer, die kein Gehör finden; der Schrei ist auch die Klage von Millionen, die diesen elenden und sinnlosen Krieg erleiden, der die Ukraine, Russland, Europa auf einem Weg ohne Wiederkehr gefangen hält.

Liebe Freunde, heute Nacht sind wir die Wächter, wir sind die Wächter auf den Mauern der ukrainischen Städte, wir sind die Wächter an der Grenze der Ukraine, den ganzen Tag und die ganze Nacht werden sie nicht schweigen. Sie werden nicht schweigen, wenn wir um Frieden bitten, wir wollen nicht schweigen und azu aufrufen, Wege des Dialogs zu öffnen, wir werden nicht schweigen und alle auffordern, dass wir den Ukrainern in dieser Zeit der großen Not helfen müssen. Denn viele wenden sich ab, vergessen die Not der Alten, der Kinder, der Kranken, die von diesem Unglück überwältigt sind.
Wir sind Fürsprecher. Fürsprache bedeutet, dass wir uns hineingeben heute in die Mitte der Kämpfenden, heute in die Mitte der Leiden der Welt und sagen: Genug mit diesem sinnlosen Krieg, genug mit diesem Krieg, der ein Volk vernichtet! Kein Krieg mehr! Stattdessen müssen wir schnell den Weg zum Frieden finden, auch wenn es Mühe und Mut erfordert.

Möge der Geist des Herrn, der der Geist des Friedens ist, die kriegerische Leidenschaft, die törichte Logik des Hasses besänftigen und die Machthaber, wie die Bibel sagt, auf die Wege des Friedens und der Gerechtigkeit führen. Friede sei mit der Ukraine, Friede sei mit der Ukraine! Amen.