Kunst und Behinderung

Die Kunstwerkstätten der Gemeinschaft Sant'Egidio entstanden 1985 als Antwort auf den Wunsch von erwachsenen Menschen mit Behinderung, sich in ihrer künstlerischen Tätigkeit fortzubilden und diese zu vertiefen. Dieser Personenkreis hatte nicht die Möglichkeit zu einer schulisch- integrativen Bildung erhalten. In den Ateliers werden sie geschult, erlernen künstlerische Techniken, erweitern ihren weltweiten Horizont, kommen in Kontakt und Kommunikation mit anderen Künstlern, suchen ihren eigenen Stil und lassen ihre Fähigkeiten ans Licht kommen. So wurden die Zentren zu einem Ausgangspunkt für die Kommunikation und für den Prozess der Aneignung ganz persönlicher künstlerischer und expressiver Ausdrucksarten. Im Laufe der Zeit wurden die Kapazitäten der einzelnen Teilnehmenden immer deutlicher: die Tiefe ihres Verständnisses der Realität, ihrer Gedanken und ihres Blicks auf die Welt.

Kunst ist als kreativer Prozess ein entscheidendes Element, um verborgene und unerwartete Kräfte ans Tageslicht zu bringen. In den Kunstateliers von Sant'Egidio wird denen eine Stimme gegeben, die aufgrund ihrer eigenen Beeinträchtigung und Zerbrechlichkeit nicht die Möglichkeit haben, ihre innere Welt sichtbar werden zu lassen. Keiner ist von diesem Weg der Öffnung zu den Mitmenschen und zur Welt ausgeschlossen. Vielmehr kann jeder die seine persönliche Weise der Kommunikation und des Ausdrucks seiner Gedanken finden. Durch diesen befreienden Akt treten die jeweils eigenen Kapazitäten – oft auf überraschende Weise - ans Tageslicht, was zur Überwindung von Vorurteilen und Minderwertigkeitsgefühlen führen kann. 

Die Kunstwerkstätten haben seit Ende der 90er Jahre in Europa zahlreiche Ausstellungen zu verschiedenen thematischen Schwerpunkten hervorgebracht. Seit einigen Jahren öffneten sie sich für die Begegnung mit zeitgenössischen Künstlern, so mit dem Katalanen Anton Roca, der im Rahmen der Ausstellung „Wir, Italien“ zum 150. Jahrestag der Einheit Italiens im Palazzo Quirinale am 3. Dezember 2011 in aktiver Zusammenarbeit mit Künstlern mit Behinderung aus dem Kunstatelier eine Installation mit dem Titel „ITALIEN-Tisch“ erstellte.

Des Weiteren wurde im Oktober 2011 bei der Biennale in Venedig eine „Biennale Session“ dem Projekt „I\O_IO È UN ALTRO“ (I\CH_ICH IST EIN ANDERER) des italo-brasilianischen Künstlers Cesar Meneghetti gewidmet. Dieses Kunstwerk ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit in und mit den Kunstateliers der Gemeinschaft Sant'Egidio. Das Projekt war Ursprung einer Reihe von Werken, die 2013 bei der Biennale in Venedig und im Museum MAXXI (Italienisches Nationalmuseum für zeitgenössische Kunst des 21. Jahrhunderts, Rom) vom November 2015 bis Januar 2016 ausgestellt wurden.

Eines der Werke aus dieser Reihe (OPERA #01 VIDEOCABINA #3, eine monokanal-Videoinstellation der Jahre 2011-2013, wurde in die ständige Ausstellung des Museums MAXXI aufgenommen.

 

Verschiedene Veröffentlichungen und Kataloge begleiten den Weg der Kunstateliers:

Gemeinschaft Sant'Egidio, Abbasso il grigio! (Bunt statt grau!), 2003

AA.VV., Con l'arte da disabile a persone (Kunst als Mittel - vom Behinderten zur Person), 2007

Noi l'Italia (Wir, Italien), Ausstellungskatalog, Quirinal-Palast, 2011

AA.VV., NOI DIAMO [+] SENSO (WIR GEBEN [+] SINN), Katalog der Ausstellung in S. Maria della Pietà, Bramante-Kreuzgang, 2015

César Meneghetti, I\O è un altro, 2015

Die Kunstwerkstätten entwickeln ihre Arbeit ständig weiter und verstehen diese als offenen Prozess. Hierbei gehen sie gerne das Risiko des Wandels und neuer Begegnungen ein.

Link zur deutschen Homepage: https://kunstwerkstatt-wuerzburg.com/category/santegidio/