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Unterstützung der Gemeinschaft

  

Dankgottesdienst zum 50. Jahrestag der Gemeinschaft Sant’Egidio

10. Februar um 17.30 Uhr in der Lateranbasilika des Hl. Johannes

Die ersten Personen sind 2018 durch die humanitären Korridore in Italien angekommen. Die neue Phase des Projektes, das zum Modell der Gastfreundschaft und Integration für Europa geworden ist


 
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11 September 2011 16:30 | Residenz, Herkulessaal

Einleitende Rede



Andrea Riccardi


Historiker, Gründer der Gemeinschaft Sant'Egidio

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
ehrwürdige Vertreter der christlichen Kirchen und der großen Weltreligionen,
Eminenz, Kardinal Marx,
sehr geehrte  Gäste,
liebe Freunde,
ich danke Ihnen für die Teilnahme an diesem Treffen. Ich danke Ihnen, Herr Bundespräsident, dass Sie uns die Ehre Ihrer Anwesenheit geben und Ihr Wort an uns richten.

Bei der bewegenden Live-Schaltung nach New York haben wir des 11. September 2001 gedacht. Wir durchlebten diese Tragödie von Neuem, aber auch die weltweite Anteilnahme an ihr. Manche sagten damals: "Wir sind alle Amerikaner." Ein überwältigendes Mitgefühl mit dem Leid der Amerikaner war zu spüren, eine spirituelle Globalisierung.
Der 11. September eröffnete das 21. Jahrhundert auf tragische Weise. Es trat deutlich zutage, dass der Terrorismus die scheußlichste Spielart der Gewalt darstellt. Viele unserer Zeitgenos-sen sahen durch dieses schreckliche Ereignis eine bestimmte Geschichtsinterpretation bestätigt, die einen permanenten Konflikt zwischen Kulturen und Religionen und besonders zwischen dem Islam und dem Westen zu beobachten meint. So hat sich in den vergangenen zehn Jahren eine allgemeine Kultur des Konflikts entwickelt.

Im Kontext dieser Kultur schien der Dialog naiv, ja gefährlich zu sein. Der Krieg hingegen wurde rehabilitiert: als Mittel, um Recht durchzusetzen, sich zu verteidigen und den Terro-rismus zu bekämpfen. Es existierten bereits zahlreiche offene Konflikte, wie etwa der Kon-flikt zwischen Palästinensern und Israelis, der seit über sechzig Jahren eine offene Wunde für diese beiden Völker und den gesamten Nahen Osten darstellt. In den vergangenen zehn Jahren schlug der Terrorismus auf niederträchtige Weise immer wieder zu. Eine Kultur des Konflikts verbreitete sich, gleichsam als natürliche Antwort auf eine Welt, die als Opfer des Kampfes der Kulturen betrachtet wurde.

Die Hoffnung auf Frieden, welche die Wende von 1989 in Europa aufkeimen ließ, wurde enttäuscht. 1989 hatte die Freiheit friedlich und gewaltlos den Sieg errungen. Ich denke an die deutsche Wiedervereinigung und die Freiheit für Polen und Osteuropa. Die Welt war des Gleichgewichts des Schreckens müde. So schien gegen Ende des blutigen 20. Jahrhunderts eine friedliche Weltordnung möglich. Auch Afrika, Lateinamerika und Asien erlebten friedliche Übergänge zur Demokratie. Noch mitten im Kalten Krieg lud Johannes Paul II. im Jahr 1986 verschiedene Religionsoberhäupter nach Assisi zum Gebet um Frieden ein. Der Beitrag der Religionen für den Aufbau des Friedens war ihm dabei ein besonderes Anliegen.
Nach dem 11. September erhielt die Idee des gewaltsamen Konflikts wachsenden Zuspruch, was den Terroristen nicht missfiel. In einer bedrohlichen Botschaft äußerte Bin Laden: "Sie wollen den Dialog, wir den Tod." Die Kultur des Konflikts brachte die Ängste und Sorgen einer globalisierten, orientierungslosen Welt zum Ausdruck, die von verschiedenen Seiten bedroht wird. Der Konflikt schien Schutz zu verheißen. Der Geist von Assisi schien nunmehr nur noch eine Utopie zu sein.
Es muss hier nicht darauf eingegangen werden, welche politischen Ergebnisse der Einsatz von Gewalt erbracht hat. In den Konflikten in Afghanistan, im Irak und in Pakistan sind insgesamt 130.000 Zivilisten und mehrere Tausend Soldaten ums Leben gekommen. Zweifellos hat sich ein Geist des Misstrauens und des Antagonismus unter den Völkern ausgebreitet. Beziehungen und Märkte sind global geworden, doch ein globaler Sinn für die gemeinsame Zugehörigkeit zur Menschheitsfamilie hat sich nicht entwickelt. Es ist eigenartig: Die globale Welt ist stark zersplittert und hat kein globales Bewusstsein. Vielmehr sind gefährliche religiöse und ethnische Fundamentalismen entstanden.

In der derzeitigen Wirtschaftskrise geben viele dem drängenden Impuls nach, an sich zu den-ken und anderen zu misstrauen. Wir sind heute stärker auf uns selbst und auf unsere Probleme konzentriert und gleichgültiger gegenüber dem, was in der Welt geschieht. Dabei können wir aus den Ereignissen in fernen Ländern vieles lernen. Sechs Monate sind seit dem schreckli-chen Erdbeben in Japan vergangen. Ich möchte unseren japanischen Freunden unsere Wertschätzung und Bewunderung zum Ausdruck bringen, die uns mit ihrem mutigen Verhalten zutiefst berührt haben.
1989 wurde der Mut zur Freiheit bejubelt, doch die Zeit danach war nicht frei von Angst, Ter-rorismus und Gewalt. Auch wurden Millionen von Menschen im Elend nicht von ihrer Not befreit. Die Millenniumsziele, unter ihnen die Verringerung der Armut, wurden nicht umgesetzt. Im Gegenteil: Die Zahl der Flüchtlinge, Asylbewerber und Migranten ist gestiegen und stellt uns vor neue, dringliche Probleme. Dies gilt nicht nur für Europa, sondern auch innerhalb des afrikanischen Kontinents.
Die vergangenen zehn Jahre hinterlassen uns leider eine Welt, die mehr als zuvor von der Angst geprägt ist. Die Kultur des Konflikts hat sich ausgebreitet, auch aufgrund der wachsenden Gewalt in zahlreichen Ländern der Welt, die durch politische Auseinandersetzungen, Mafiaorganisationen und Kriminalität hervorgebracht wird. Diese verbreitete Gewalt trägt teilweise die Züge eines Bürgerkrieges. Haben wir nicht kostbare Jahre vergeudet?
Liebe Freunde, nach der Life-Verbindung mit New York wollen wir heute die globale Sympathie und das Mitleid von damals wiederfinden - den Geist der Solidarität des 11. September, mit der gleichen Intensität und Echtheit wie während der glücklichen Tage 1989 in Europa.
Wenn zu diesem zehnten Jahrestag viele Menschen nach München gekommen sind, verdan-ken wir dies dem Willen, diesen Geist der Sympathie mit neuem Leben zu erfüllen. Kardinal Marx, der Erzbischof von München und Freising, hat uns in diese schöne und faszinierende Stadt, in der die Natur ihren Platz hat, eingeladen und damit gezeigt, dass das wohlhabende Europa stark am Aufbau einer Kultur des Friedens interessiert ist. Herzlichen Dank für die Weisheit und Großzügigkeit dieser Einladung. Mit ihm danke ich den Mitarbeitern der Erzdiözese für ihren großzügigen Einsatz und ihre große Gastfreundschaft. Mein Dank gilt auch den etwa fünfhundert Freiwilligen der Gemeinschaft Sant'Egidio aus Deutschland und anderswo, die bei diesem Treffen mitarbeiten.
Nicht alle der zahlreichen und bedeutenden Gäste kann ich begrüßen. Der Präsident der Re-publik Slowenien sei genannt, dessen Kommen und dessen Grußwort uns ehren. Mein herzli-cher und ehrerbietiger Gruß gilt Seiner Seligkeit Daniel, dem rumänischen Patriarchen, einer bedeutenden spirituellen Persönlichkeit im heutigen Europa. Dankbar bin ich auch für das Kommen Seiner Eminenz des Exarchen von Weißrussland, Filaret, der in einer Welt ohne Hoffnung jahrelang Hoffnung bezeugte. Im Jahr 1989 waren wir gemeinsam mit Metropolit Filaret auf Einladung des lieben Herrn Kardinal Glemp, den ich herzlich grüße, in Warschau. Am 1. September fand dort unser Friedenstreffen statt. Wir erlebten damals die Kraft des gewaltlosen Geistes von 1989, die ein eisernes Regime ohne Blutvergießen zusammenbrechen ließ.
Unter uns sind wichtige Vertreter der Freiheitsbewegung aus der arabischen Welt. Ich grüße sie herzlich in der Überzeugung, dass der Wind der Freiheit bereits ein großer Wert an sich ist. Gern begrüße ich unter uns den Präsidenten der Republik Guinea Conakry. Er ist ein mutiger Zeuge für die Freiheit und Förderer des demokratischen Wandels in einem Land, mit dem die Gemeinschaft Sant'Egidio eng verbunden ist. Alle Gäste sind mit ihrer je eigenen Geschichte und Spiritualität lebendige Zeugen für die menschlichen und religiösen Energien in der heutigen Welt, die für die Zukunft Gutes erhoffen lassen.
Das globale Mitleid nach dem 11. September 2001war keine Naivität. Es brachte den Sinn für ein gemeinsames Schicksal der Menschheit zum Ausdruck, eine tiefe Intuition, die in der Kul-tur des Konflikts verloren geht. Nach dem 11. September wollte Johannes Paul II., dass die Religionsoberhäupter erneut in Assisi zusammen kommen, um mit dem Gebet der Religionen Nein zum Terrorismus zu sagen. Am letzten Tag des Ramadan lud er die Katholiken zu einem Fasttag ein, um zu zeigen, dass nicht der Hass die Beziehungen zwischen den Religionen be-stimmt. Nur der Geist kann die Kultur des Konflikts überwinden, die in den vergangenen zehn Jahren das Verhalten einzelner und das politische Denken geprägt hat.
Mit neuer Kraft müssen wir die Frage nach dem Frieden stellen. Der Friede ist keine Rhetorik, sondern ein dringliches Bedürfnis nach Sympathie, Einheit und Dialog. Der Friede ist eine Notwendigkeit für verschiedene Menschen, die nebeneinander leben. Friede bedeutet das Ende der Konflikte, doch er ist auch das Ergebnis politischen Handelns: Für Europa bedeutet er die Einheit unter den europäischen Staaten und die Wahrnehmung ihrer gemeinsamen Verantwortung in der Welt. In den ärmeren Ländern bedeutet Frieden die Befreiung aus dem Elend. Friede heißt Sicherheit vor Terrorismus. Friede bedeutet, eine Gesellschaft des Zusammenlebens in Städten aufzubauen, die voll von Spannungen sind. Der Friede ist nicht Utopie, sondern Realismus. Friede ist das hohe Wort im Vokabular des Geistes, aber auch alltäglich und notwendig wie das Brot.

Das kommende Jahrzehnt darf nicht vergeudet werden. Eine Wende ist nötig, denn alle - Völker, Religionen und Ethnien - sind wir zum Zusammenleben bestimmt, vor Ort wie international. Deshalb ist es nötig, Nein zu sagen zum Terrorismus und zu jeder Art von Fanatismus. Je mehr wir zusammenleben, desto mehr muss eine Sprache des Friedens geschaffen werden. Das ist die entscheidende Frage für das 21. Jahrhundert.
In Zeiten der Wirtschaftskrise scheint es ein Luxus zu sein, über den Frieden zu sprechen. Werden wir uns durch die Krise mehr auf uns selbst und unsere Gesellschaften konzentrieren und mehr den Konflikt suchen? Die Krise geht zulasten der Ärmeren. Daher ist für eine solidarischere Lebensordnung auch angesichts "alter und neuer Räuberbanden" eine "Globalisierung der Gerechtigkeit" nötig, wie Kardinal Marx schreibt.

In der heutigen Wirtschaftskrise können die Religionen dazu beitragen, eine neue Mentalität zu schaffen. Sie erinnern daran, dass der Wert des Lebens nicht von der Größe des Wohlstands abhängt. Das Glück findet sich, wenn in das investiert wird, was nicht vergeht. Nüchternheit im Konsum befreit den Geist und macht offen für die Bedürfnisse der Mitmenschen. Dagegen kann uns die Wirtschaftskrise auch menschlich und spirituell ärmer machen.
Das kommende Jahrzehnt darf nicht vergeudet werden. Die Mittel für eine Wende sind vorhanden. Doch keiner scheint Verantwortung zu übernehmen. Es geht nicht mehr um die beiden Blöcke im Kalten Krieg. In einer multipolaren Welt agieren viele Protagonisten. Doch auch dann sind eine Kultur und eine Sprache des Friedens nötig, damit ein Zusammenleben in Harmonie gelingen kann.
Es gibt die Kraft des Geistes. Männer und Frauen des Geistes vermögen viel, wenn sie die Initiative ergreifen, wenn sie ihr Leben ändern und auf friedliche Weise versuchen, das Leben ihrer Mitmenschen zu verändern. Die Wirtschaft ist nicht alles. Es gilt, an die spirituellen Quellen der Menschheit zu appellieren. Das ist der Sinn unseres Friedenstreffens im Vorfeld des Tages von Assisi im kommenden Oktober, zu dem Benedikt XVI. eingeladen hat. Den Religionen kommt eine wichtige Aufgabe zu. In allen Religionen ist der Friede nicht von Gott zu trennen. Seit fünfundzwanzig Jahren führt uns der Geist von Assisi und die Freundschaft unter den Religionen Jahr für Jahr in verschiedenen Städten zusammen. Wir haben den Dialog zu Fragen des Geistes und der Geschichte fortgesetzt und vermieden, dass er geschwächt wird, als Brücken einstürzten oder bombardiert wurden. Nie wieder dürfen sich die Religionen instrumentalisieren lassen, um die Welt zu spalten und Hass zu sakralisieren!
In dieser durch die Wirtschaftskrise erschreckten Welt ist ein Wind nötig, der die Hoffnung wieder belebt und die Menschen zum Bewusstsein eines gemeinsamen Schicksals führt. Die Religionen zeigen, dass alle Menschen auf einer einzigen großen Reise unterwegs sind. Dies ist eine grundlegende Wahrheit, so einfach wie das Brot und so notwendig wie das Wasser. Doch manchmal geht sie in den Verwicklungen des Hasses, in einer pervertierten Kultur oder im Konflikt der Interessen verloren. Überall, wo für die Einheit gearbeitet wird, muss dieses einfache und grundlegende Streben nach Einheit mit neuem Leben erfüllt werden. Religionen und Kulturen können diese fundamentale und einfache Überzeugung wieder beleben. Der große Johannes Chrysostomus lehrt: "Seid einfach und klug!"
In Assisi sagte Johannes Paul II. im Jahr 1986: "Mehr als je zuvor in der Geschichte der Menschheit ist die innere Verbindung zwischen einer aufrichtigen religiösen Haltung und dem großen Gut des Friedens allen Menschen deutlich geworden … was für ein wunderbarer, erfreulicher Ruf, dem wir folgen müssen".
Ja, dieser schönen Berufung müssen wir folgen! Wenn der Friede vom Geist genährt ist, wird er zu einem Ort, an dem für Einheit, Begegnung, Befreiung aus Not und menschliches und spirituelles Wachstum gearbeitet wird, auch in Zeiten der Wirtschaftskrise. Die Welt möge die Begeisterung wieder finden und sich nicht durch die Angst vor dem anderen und vor der Zukunft entmutigen lassen! Zwischen dem Kampf der Kulturen und einer primitiven, nur auf die Wirtschaft begrenzten Globalisierung findet sich ein weites Feld, auf dem die Einheit in der Verschiedenheit aufgebaut werden kann. Darauf haben wir fünfundzwanzig Jahre lang gesetzt, und wir wurden nicht enttäuscht. Auf diesem Feld wollen wir die Zukunft aufbauen!


München  2011

Botschaft
von Papst
Benedikt XVI


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