Der Bußgottesdienst von Papst Franziskus auf Lampedusa ist ein eindringlicher Aufruf, die Gleichgültigkeit vieler zu überwinden, die den Blick vom Leid der Ärmsten abgewendet haben. Er verkündet auch einen eindringlichen Appell, die Logik von sozioökonomischen Entscheidungen ablegen, durch die es in der globalen Welt zu vielen menschlichen Dramen gekommen ist, die sich in der Stille auf dem Wasser des Mittelmeeres abspielen. Zumindest wurden sie nicht verhindert.
Wir danken dem Heiligen Vater, dass er das Gedenken an Tausende unserer Brüder und Schwestern geehrt hat, die auf der Flucht vor Armut und Krieg, Ausbeutung durch Menschenhändler und Ablehnung durch den Egoismus der Reichen einsam ihr Leben verloren haben, während sie verzweifelt auf der Suche nach einem besseren Leben waren. Durch seine Worte, Gesten und sein Gebet hat der Papst zum Herzen aller gesprochen. Nun muss eine weitsichtige Politik den Migranten ihre Würde zurückgeben und ihnen Recht verschaffen, sie muss sich um angemessene Lebensbedingungen des Friedens und der Entwicklung in den Herkunftsländern bemühen. An die Stelle der Globalisierung der Gleichgültigkeit muss die Globalisierung der Solidarität treten.
Marco Impagliazzo, Präsident der Gemeinschaft Sant'Egidio
Artikel von Andrea Riccardi im CORRIERE DELLA SERA:
Papst Franziskus in Lampedusa. Die Kirche der Armen blickt nach Süden
Die Insel Lampedusa kehrt ins Scheinwerferlicht zurück, zum Glück nicht wegen eines weiteren tragischen Zwischenfalls, sondern durch den Besuch von Papst Franziskus. Ende der 90er Jahre landeten dort viele Verzweifelte aus den armen Ländern Afrikas. Die zahlreichen Überreste von Motorbooten auf der Insel erinnern an diese Leidensgeschichten. Viele sind ins Mittelmeer gefallen (seit 1988 werden ca. 19.000 Personen gezählt). Viele haben ihr Leben auf den Reisen durch die Wüste verloren. Ein junger Äthiopier erzählte mir von unvorstellbaren Schikanen in den Transitländern, vor allem in Libyen. Seit 1999 bis 2012 sind über 200.000 Menschen auf der Insel gestrandet. Seit Anfang 2013 sind ca. 4.000 Menschen in Lampedusa angekommen. Die Insel ganz in der Nähe Afrikas ist der erste europäische Zufluchtsort. Leider neigt die Politik dazu, diese Realität zu leugnen, den Hafen als "unsicher" anzusehen und die Aufnahmezentren nicht zu renovieren. Diese politischen Entscheidungen werden als Schutz für Italien vor einer Invasion der Migranten hingestellt, die die Migrationsbewegungen mit dem Ursprung in dramatischen Situationen nicht eingeschränkt haben. Vielmehr kam es durch unzureichende Strukturen zu schwerwiegenden Unannehmlichkeiten für die Bewohner der Insel und die Flüchtlinge. Zum Glück wurde dieser unglaublichen Lage Abhilfe geschaffen.
Es muss aber noch mehr getan werden. Lampedusa muss als großes Eingangstor Europas für den Süden anerkannt werden. Diesen Schritt muss Italien mit Europa gehen, denn dort liegt das Ziel der meisten Flüchtlinge. Es reicht nicht aus, Zentren in Libyen einzurichten, wie es die Union tut. Europa muss Verantwortung für die Wanderungsbewegungen übernehmen, die den Kontinent zum Ziel haben. Italien, Spanien, Griechenland und Malta (das Angst hat vor einer Flüchtlingsinvasion) sind die Eintrittsländer nach Europa. Lampedusa ist wirklich und symbolisch das Tor. Das Tor eines gemeinsamen Hauses und nicht nur ein Zipfel Italiens.
Überraschenderweise führt die erste Reise außerhalb Roms Papst Franziskus hierher. In den ersten Tagen seines Pontifikats besuchte Johannes Paul II. Assisi und reiste dann nach Mexiko. Benedikt XVI. ging nach Bari zum italienischen eucharistischen Kongress. Die Entscheidung von Bergoglio ist außergewöhnlich. Er besucht die südlichste Grenze Europas. Dieser Zipfel Italiens war über Tausend Jahre lang eine historische Grenze, die finis christianitatis gegenüber dem Islam. Dort fanden viele Konflikte statt, es war oft eine immaterielle doch reale Grenze zwischen zwei verfeindeten Welten. Heute hat sich alles gewandelt. Durch die arabischen Aufstände, die neueren Ereignisse in Ägypten und den Krieg in Syrien ist das Mittelmeer wieder eine politische stürmische Ecke geworden. Der große Süden mit seinen menschlichen und sozialen Dramen, die zu Migrationsbewegungen, Terrorismus und Instabilität der arabischen Welt führen, sind für die europäischen Länder eine unbekannte Größe. Franziskus begibt sich zum ersten Mal als Papst in den Süden. Er will keine Grenze bestätigen, sondern für die im Meer Gestorbenen beten. Dadurch richtet er seinen Blick auf den großen Süden: auf das Elend, die Kriege, den Fundamentalismus und auch den Widerspruch zwischen großen Reichtümern und der Armut. Dabei geht er vom Leid der Migranten aus, das ist folgerichtig angesichts der Entscheidung für eine arme Kirche, die Freundin der Armen ist. Für ihn ist der Blick auf die Armen nicht exklusiv, sondern vielmehr die Voraussetzung für einen universalen Blick. Dabei geht es darum, langsam etwas zu verstehen. Bei seiner Reise hat er die Formalitäten des Protokolls umgangen, die eine Papstreise kennzeichnen, nämlich die Anwesenheit von Ministern und Autoritäten, auch der sizilianischen Bischöfe. Die Priorität sind die Gestorbenen, die Flüchtlinge, die Bewohner von Lampedusa und die Italiener, die sich an den Hilfsaktionen beteiligt haben. Der Papst möchte in die Tiefe des Leids hinabsteigen, das auf dieser Insel konzentriert ist. Ihm wird ein Bischofsstab geschenkt, der aus dem Holz der Boote gemacht ist, während der Altar, auf dem er die Messe feiert, aus einem Boot gemacht ist. Diese Pilgerreise des Papstes zum Leid im Süden der Welt ist überhaupt nicht politisch und offiziell, sie führt die sensible und barmherzige Kirche von Rom hin zu einer der kompliziertesten und bewegtesten Grenzen der Welt. Das europäische Gewissen kann dieser kurzen Fahrt ein wichtiges Signal entnehmen, die symbolisch gewissermaßen die erste internationale Reise von Papst Bergoglio ist.
Andrea Riccardi
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